Der Gießener Soziologe und Theologe Reimer Gronemeyer befürchtet, dass alte Menschen immer stärker ins gesellschaftliche Abseits gedrängt werden. „Jungsein ist der Maßstab. Die Jungen haben die digitale Macht und die Mobilitätsvorteile“, sagte Gronemeyer dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Der Drive dieser Gesellschaft führt dazu, dass man nicht alt sein darf, dass von den Alten nichts zu erwarten ist.“
Es existiere eine „strukturelle Altersdiskriminierung“, schreibt der 85-Jährige in seinem aktuellen Buch „Die Abgelehnten“. Sie zeige sich zum Beispiel in der Benachteiligung insbesondere älterer Frauen in der Arbeitswelt – trotz Fachkräftemangels. „Sie werden rausgekickt, anstatt zu gucken: Gibt es nicht doch eine vernünftige Einbeziehung?“, so Gronemeyer.
Eine Untersuchung, die er zurzeit in der mittelhessischen Kleinstadt Laubach durchführe, zeige, wie sehr die Dörfer mittlerweile zu Schlaforten verkommen sind, ohne Kneipen, Gesangvereine, Metzger und Bäcker. Feststellbar sei eine „ungeheure Einsamkeit alter Leute“. Sie verschwänden in Heimen und auf Kreuzfahrtschiffen. „Das ist ein unglaublich armer Ersatz für ein sinnvolles Leben.“ Viele Ältere hätten das Gefühl, zu nichts mehr nütze zu sein.
In früheren Zeiten hätten die Alten Dinge gewusst, die für alle wichtig waren. Das sei vorbei und habe sich sogar ins Gegenteil verkehrt. „Das ist eine einmalige kulturelle Verarmung, und das kann nicht gutgehen.“ Denn die Fähigkeiten der Alten könnten in Zukunft noch gefragt sein, etwa im Handwerk oder im Gartenbau. In seinem Buch rät der emeritierte Soziologieprofessor dazu, die Gräben zwischen den Generationen zu überbrücken. Der Umgang zwischen Alt und Jung sei ein Gradmesser für die Humanität der Gesellschaft. „Man muss aufwachen und etwas in die Hand nehmen, Alte wie Junge“, sagte er. Es gebe durchaus „kleine Pflänzchen, die durch den Beton wachsen“. So habe ein älterer Pfarrer in Laubach einen Treffpunkt gegründet und Leute zusammengebracht, die nun gemeinsam Hühner halten. „Solche Initiativen sind die Rettung in die Zukunft.“ Oft seien sie vom Engagement Einzelner abhängig. „Sie kosten meist nichts, aber die Profis dürfen sie nicht in die Hand bekommen.“
Es sei möglich, sich unabhängig vom Geld etwas Neues einfallen zu lassen. „Man muss die Menschen anpusten und die Glut der Empathie, die da ist, zum Brennen bringen. Eine andere Gesellschaft ist möglich. Es ist nur eine Papierwand, die uns davon trennt.“