Als Thomas Müller (58) an diesem nasskalten Tag mit dem Gesundheitsmobil den Lübecker Koberg ansteuert, wird er bereits erwartet. Markus (38, Name geändert) ist obdachlos und nicht krankenversichert. Er hat eine Wunde an der Hand, die schlecht heilt.
„Komm erstmal rein, hier drin ist es schön warm“, sagt Müller. Die beiden kennen sich seit einigen Monaten. Markus setzt sich auf den blauen Behandlungsstuhl im Gesundheitsmobil und ist sichtlich froh, sich etwas aufwärmen zu können. „Meiner Hand geht es schon besser“, sagt der 38-Jährige. Während Müller die Wunde mit einer Salbe versorgt und neu verbindet, fragt er seinen Patienten, wie es ihm in letzter Zeit ergangen ist. „Ach du kennst mich ja, ich lass‘ mich nicht unterkriegen“, sagt Markus mit einem schiefen Lächeln.
„Letztes Mal hast du ja ziemlich gehustet. Ich würde dich gerne noch einmal abhören“, erklärt Müller. Er ist zufrieden mit dem, was er hört. Noch ein kurzer Plausch, dann macht sich Markus wieder auf den Weg. „Pass gut auf dich auf“, ruft Müller seinem Patienten hinterher.
Der 58-Jährige ist einer von zwei hauptamtlichen Mitarbeitern des Lübecker Gesundheitsmobils. Hinzu kommen 13 ehrenamtliche Helfer, neun Ärztinnen und Ärzte, zwei Krankenschwestern und zwei Fahrer. Weitere ehrenamtliche Mitstreiter sind laut Müller jederzeit willkommen.
Das spendenfinanzierte Gemeinschaftsprojekt von den Johannitern und der Gemeindediakonie gibt es bereits seit 2007 – „und es ist nach wie vor einzigartig in Schleswig-Holstein“, sagt Müller, der seit Anfang 2008 dabei ist. Jährlich versorgt das Gesundheitsmobil zwischen 600 und 700 Klientinnen und Klienten.
Das Fahrzeug hat eine medizinische Grundausstattung an Bord, mit der das Team „kostenlos und vertraulich“ helfen kann. „Etwa 30 Prozent unserer Patienten haben keine Krankenversicherung“, sagt Müller. Dass auch viele Lübecker mit Krankenversicherung das niedrigschwellige Angebot nutzen, hat vielfältige Gründe. „Manch einer geht nicht zum Arzt, weil er sich schämt oder Angst hat oder sich für nicht Wartezimmer-tauglich hält“, erklärt Müller. „Viele entscheiden sich erst in dem Moment, in dem sie das Gesundheitsmobil sehen.“ Deshalb sind der 58-Jährige und seine Kollegin Sabine Steen oft zu Fuß in der Stadt unterwegs und sprechen Menschen an, von denen sie annehmen, dass sie ärztliche Hilfe brauchen könnten.
Das Gesundheitsmobil macht von montags bis freitags an elf Stellen im Stadtgebiet Station. Auf dem Parkplatz der MuK steht es zum Beispiel donnerstags von 11 bis 11.30 Uhr und an der Marienkirche dienstags von 11 bis 12 Uhr. Darüber hinaus gibt es mit der Gesundheitsstation am Mühlentorplatz 1 auch eine feste Anlaufstelle, in der zum Beispiel Blut abgenommen werden kann und weitergehende Untersuchungen möglich sind.
Was das Gesundheitsmobil derzeit nicht anbieten kann, ist eine zahnärztliche Behandlung. „Unser Zahnarzt ist mit 80 Jahren in den Ruhestand gegangen“, sagt Müller. Die Suche nach einem Nachfolger war bisher erfolglos. Wer bei Zahnproblemen Beratungsbedarf hat, kann sich telefonisch beim Gesundheitsmobil melden unter 0451/58010671. Bei Behandlungsbedarf ist die nächste Anlaufstelle für Menschen ohne Krankenversicherung das Zahnmobil der Caritas in Hamburg.
„Neben medizinischer Beratung und Behandlung bieten wir auch Gespräche auf Augenhöhe“, betont Müller. Sein erklärtes Ziel: „Ich möchte, dass unsere Klienten wieder besser auf sich achtgeben und sich – gegebenenfalls mit entsprechender Unterstützung – um eine Krankenversicherung kümmern, um so wieder in die Regelversorgung zu kommen.“
Auch beim von Medizinstudentinnen und -studenten sowie weiteren Freiwilligen betriebenen Medibüro in der Großen Burgstraße erhalten Menschen ohne Krankenversicherung medizinische Hilfe. Das Projekt besteht seit 2012, seit 2022 ist es ein eingetragener Verein. „Der Erstkontakt läuft telefonisch. Wir verschaffen uns einen Überblick, laden die Klienten gegebenenfalls zu uns ein und vermitteln sie stets an Praxen oder Kliniken weiter“, erklärt Medizinstudentin Lea Schwerin (27) vom Vorstand des Medibüros, das unter 01577/9338144 erreichbar ist.
Einige Arztpraxen würden die vermittelten Patienten pro bono behandeln, nehmen also kein Geld dafür. Andere bieten die Behandlung vergünstigt an. Wenn dies nicht möglich ist, versucht das durch den Integrationsfonds geförderte Medibüro, zumindest einen Teil der Kosten zu übernehmen. „Doch unser Budget ist begrenzt und die Förderung musste bisher jährlich neu beantragt werden“, erklärt Lea Schwerin. Aber nun ist Besserung in Sicht: Im Haushaltsbeschluss stehen für das kommende Jahr 10.000 Euro und für 2026 sogar 15.000 für das Medibüro.
Wenn das Geld knapp wird, starten die Ehrenamtlichen Spendenaufrufe oder Soli-Partys, sagt Schwerin, „aber das Geld reicht trotzdem nie“. Ihr bitteres Fazit: „Wir können die Versorgungslücke nicht einmal ansatzweise schließen, sondern sie nur ein bisschen kleiner machen.“ Es sei ein Grundfehler im System, dass es zwar „ein Recht auf notwendige und angemessene medizinische Behandlung gibt, dieses aber über Ehrenamtler und Spenden gewährleistet werden soll“.