„Fertig?“, fragt die Pflegetrainerin. „Dann streicht jetzt bitte überall die Nummer vier durch.“ Es grummelt im Kopf. „Jetzt die Drei“. Puh. „Und jetzt die Nummer eins.“ Den Namen des liebsten Menschen einfach durchstreichen? Der Stift wandert zögerlich übers Papier. Das füllt sich so an, als ob ein Ballon im Kopf platzt. Leise, schmerzhaft. „So geht es Demenzkranken jeden Tag“, sagt Grandke sanft.
Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des „Gruppenkurses Demenz“im Eutiner Sankt Elisabeth Krankenhauses schweigen. Die kostenlosen, monatlichen Kurse richten sich an pflegende Angehörige, stehen aber auch allen Interessierten offen. Sie sind auf kleine Gruppen ausgerichtet − sechs, sieben Personen maximal. Das schafft schnell Vertrauen untereinander. Das Konzept dahinter nennt sich „Familiale Pflege“. Es ist ein Kooperationsangebot derAOK NordWest und teilnehmender Krankenhäuser, wie hier in Eutin.Im hellen Raum in der Tagesklinik an der Bismarckstraße geht es nach der Stille konzentriert weiter. Zu Beginn haben alle kurz ihre Berührungspunkte und -ängste mit dem Thema geschildert. Es geht um die Schwester, die im Pflegeheim lebt, um die erkrankte Mutter, die langsam „verschwindet“ und bei Familienfesten Sätze sagt wie: „Ich gehöre doch gar nicht mehr dazu“. Zwei Kurs-Teilnehmer arbeiten zudem in der Seniorenbetreuung, helfen Angehörigen mitunter täglich bei komplizierten Anträgen oder passen ein, zwei Stunden auf, wenn der oder die Partnerin wegmuss.
68.000 Menschen in Schleswig-Holstein leiden an Demenz. Es ist ein „Sammelbegriff für viele Krankheiten“. Am häufigsten tritt „Morbus Alzheimer“ auf. Mit dem Alter steigt das Risiko: Im Jahr 2023 erkrankten bundesweit etwa445.000 Menschen über 65neu an einer Form der Demenz.Sie liegt vor, „wennüber mindestens sechs Monate chronische oder fortschreitende Denkschwierigkeiten, Gedächtnis- und Orientierungsstörungen“ andauern.Medikamente helfen, verlangsamen Verläufe, eine Heilung gibt es nicht. Doch dieForschung kommt weiter, möglicherweise kann etwa eine Impfung gegen Gürtelrose das Risiko senken. Demenz ist brutal für die Patienten. Der Verlust von zuvor Selbstverständlichem − wie den eigenen Erinnerungen oder der Sprache − wird bei vollem Bewusstsein erlebt. Aus Scham und Angst wird das oft versteckt. Angehörige, Freunde bemerken die Erkrankung erst nach einiger Zeit − und sind überfordert, traurig, verzweifelt. Die Krankheit wird oft tabuisiert.„Es ist gerade am Anfang ein Trauerprozess“, sagt Pflegetrainerin Swenja Grandke. Schuld sei ein großes Thema. Lange gewohnte Rollen innerhalb einer Familie und des Umfelds verschieben sich rasant. Der Kurs in Eutin soll helfen, damit einen individuellen Umgang zu finden. Grandke und ihr Kollege Markus Klein, ebenfalls Pflegetrainer, vermitteln in dreimal vier Stunden aber mehr. Es geht nicht nur um die Krankheit und die Diagnose, sondern auch um konkrete Pflegetipps und eine realistische Selbsteinschätzung: Was kann und will ich leisten?
„Wenn meine Schwester mich nicht mehr erkennt, warum soll ich dann hingehen“, ist eine der Fragen dazu in Eutin. Swenja Grandke erwidert ernst, aber mit einem Lächeln: „Weil du ihr ein Gefühl mitbringst.“