Munitionsräumung in der Ostsee:Die wichtigsten Fragen und Antworten
Granaten, Grundminen, Torpedos und mehr verrotten am Meeresgrund – In einem Pilotprojekt werden sie jetzt geborgen

Das Multifunktionsschiff „Düne“ der Firma Eggers sorgt für Sicherheit im Sperrgebiet des Pilotprojekts.Foto: Agentur 54°
Ostholstein. Explosive und vor allem giftige Weltkriegsmunition liegt in riesigen Mengen am Meeresboden von Nord- und Ostsee. Der überwiegende Teil wurde dort bewusst versenkt. Zunächst zum Kriegsende von der deutschen Wehrmacht, anschließend von den Alliierten zur Entwaffnung der Deutschen. Die Hinterlassenschaften gefährden Menschen und Umwelt. Lösungen für die Bergung der Altlasten sollen in der Lübecker Bucht gefunden werden.In einem Pilotprojekt vor Pelzerhaken und Haffkrug werden erste Erkenntnisse über die Vorkommen gewonnen und Möglichkeiten zur Massenbergung getestet. Es werden verschiedene Geräte und Methoden ausprobiert, um später die Altlasten bestmöglich im großen Stil aus dem Meer zu holen und zu vernichten.Bisher gibt es weltweit kein vergleichbares Vorhaben. Ziel ist es, gleichzeitig effektiv und umweltschonend zu arbeiten. Das Projekt wird vom Geomar in Kiel wissenschaftlich begleitet.

Experten gehen von geschätzten 1,6 Millionen Tonnen Munition aus. Davon 300.000 Tonnen werden am Boden der Ostsee vermutet. Ein Beispiel verdeutlicht das Ausmaß: Geschätzt bis zu 200 rund 40 Kilogramm schwere Munitionskisten konnten nach Ende des Krieges pro Minute über Bord eines Schiffes gehen.

Allein in der Lübecker Bucht sollen es etwa 50.000 Tonnen sein. Allerdings könnte sich dort noch mehr befinden. Neueste Daten gehen mutmaßlich davon aus, dass beispielsweise vor Pelzerhaken − bisher verschleiert durch Sediment − deutlich mehr versenkt wurde, als angenommen. Das soll schnell überprüft werden.

Der Zustand der Altlasten verschlechtert sich. Das erschwert die Bergung und lässt die Kosten steigen. Gleichzeitig gelangen mehr Schadstoffe ins Wasser und sind bereits auf dem Weg in die Nahrungskette. Nachgewiesen wurden Toxine beispielsweise in Muscheln oder Fischen.

Kurz gesagt: gute Voraussetzungen. Es gibt keine Tiefen, kaum Strömung und gute Sicht. Zudem gehen Experten davon aus, dass sie in der Lübecker Bucht sehr viel lernen können. Es gibt schätzungsweise rund 400 Orte, an denen unterschiedliche Munitionsarten verklappt sind. Sogar Transportschiffe (Schuten) mit Munition wurden versenkt.

Überraschend viel Kleinmunition, insbesondere vor Haffkrug. Aber auch Granaten, Grundminen, Torpedos und Fliegerbomben liegen am Meeresboden. Nicht alles ist beschriftet, auch Material zur Waffenproduktion gehört zu den Altlasten. Während der Pilotphase sollen bis zu 45 Tonnen geborgen werden.

Unter Wasser erfolgt fast alles automatisiert. Tauchroboter und Sonarsysteme sind im Einsatz. Munitionskisten werden beispielsweise per Greifarm geborgen. Aber auch Taucher kommen zum Einsatz, um bei besonders schlechter Sicht die Kampfmittel zu identifizieren.

Auf der Plattform werden die Munitionskisten von Menschenhand geöffnet. Jede einzelne Patrone wird dokumentiert. Die Munition wird dann in wasserdichte Stahlfässer gepackt, um sie anschließend gesichert am Meeresboden zu lagern. Mehr als 40 liegen bereits in der Lübecker Bucht. Von dort werden sie wieder hochgeholt, wenn die industrielle Bergung beginnt, um den Inhalt auf einer speziell angefertigten Plattform zu vernichten.

Dafür gibt es drei Gründe: An Land fehlt es für die riesigen Mengen an geeigneten Standorten zur Vernichtung. Das Verbrennen der Munition auf der Bergungsplattform ist effizienter. Zudem birgt der Transport von Kampfmitteln über Land Sicherheitsrisiken und ist sehr aufwendig. Im Rahmen des Pilotprojekts wird im niedersächsischen Munster beim Spezialisten Geka eine kleine Menge zu Analysezwecken vernichtet.

Nein. Strand und Ostsee sind sicher. Das Gebiet ist mit gelben Bojen abgesperrt und wird überwacht. Es gibt keine Sprengungen.

Der Bund hat 100 Millionen Euro für das Pilotprogramm sowie Entwicklung und Bau der ersten Großplattform samt Verbrennungsanlage zur Verfügung gestellt. Am Betrieb der Plattform müssen sich die Küstenländer später beteiligen. Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt sieht alle Bundesländer in der Pflicht.

Am 12. September ist das Pilotprogramm gestartet. Es dauert noch bis Mitte November an. Die Ausschreibung für die Industrie-Plattform endet am 22. Oktober. Bis Ende 2026 soll der Prototyp für die Massenräumung fertig sein. Ob er zuerst in der Ostsee oder Nordsee im Einsatz sein wird, steht noch nicht fest. und Bue
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