„Es ist momentan eine Art Waffenstillstand eingetreten“, sagt Lübecks renommierter Uni-Virenforscher Prof. Rolf Hilgenfeld. „Es bilden sich zwar immer weiter neue Linien des Virus. Aber das ist nicht mehr so gefährlich, weil der Großteil der Bevölkerung inzwischen Immunität erworben hat.“ Zudem gibt es die Impfung und inzwischen zwei Medikamente; allerdings ist eines davon, „Ensitrelvir“, bisher nur in Japan zugelassen. „Für Gelassenheit sehe ich dennoch keinen Anlass“, warnt er.
„Das Virus evolviert weiter, verändert sich also stetig. Wir müssen immer auf der Höhe und so auf das Schlimmste auch bei anderen Virus-Typen vorbereitet sein. Das hat uns Covid gelehrt“, erklärt der Seniorprofessor, der noch anderthalb Jahre auf dem Campus tätig sein wird. Leider gebe es schon Tendenzen, dass sich selbst von der Pandemie arg gebeutelte Länder aus der Corona-Forschung zurückziehen. „In China zum Beispiel wird die Arbeit an Sars-CoV-2 stark reduziert“, weiß der Wissenschaftler und ergänzt: „Es ist phänomenal, wie schnell die Leute vergessen.“
Hilgenfeld selbst ist schon fünfmal geimpft und wird sich rechtzeitig im Herbst erneut eine Spritze geben lassen. „Schließlich reduziert die Impfung nachgewiesenermaßen starke Verläufe und das Risiko von Long Covid. Denn bei Letzterem ist man immer noch recht machtlos“, resümiert Hilgenfeld. Man habe gehofft, dass das Corona-Medikaments Paxlovid die Long Covid-Symptomatik zurückdränge, aber das habe sich in klinischen Versuchen nicht bestätigt.
Der Uni-Forscher berichtet noch, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO dabei ist, eine Liste mit zehn Erreger-Typen zu erstellen, denen man Pandemie-Potenzial zumisst. Ganz oben mit dabei: Das Grippe-Virus. Insbesondere aus Nordamerika kommen diesbezüglich beunruhigende Nachrichten. So grassiert derzeit in US-amerikanischen Kuhställen die Vogelgrippe. Und bisher gab es vier Krankheitsfälle unter den Mitarbeitern sowie einen nicht erklärbaren Todesfall mit H5N2 in Mexiko.
„Man kann schon sagen, dass das sogenannte H5N1-Virus wieder anklopft“, kommentiert Hilgenfeld. Entsprechend rät er dringend dazu, sich auch hierzulande gut vorzubereiten. Noch gehe für die Menschen bei diesem Subtyp von H5N1 jedoch wenig Gefahr aus. Und, ganz entscheidend: Von Mensch zu Mensch verbreitet sich dieses Virus bisher nicht.
„Aber wir wissen natürlich, dass Influenza- wie Corona-Viren auch weiter evolvieren, und das machen sie, indem sie mehr Kontakt zu Säugern haben. Da kann das Virus eben hinsichtlich der Mensch-zu-Mensch-Übertragung mutieren und dann aber auch mal über Atemluft übertragbar werden“, merkt der Uni-Wissenschaftler an.
Das ist zurzeit noch nicht der Fall, weil es bisher nur an Zellen andocken kann, die bei den Kühen im Euter, bei den Menschen aber im unteren Teil des Atemapparates versteckt sitzen. Aber jeder einzelne Fall, in dem sich ein Mensch mit H5N1 ansteckt, erhöht das Risiko, dass sich die Viren verändern und an den menschlichen Wirt anpassen. Beruhigend sei wenigstens, dass es neben der erprobten Grippe-Arznei Tamiflu seit Februar 2021 ein weiteres Medikament namens Xoflusa (Baloxavir) gebe.
„Denn bei diesen RNA-Viren ist es immer gut, mehrere Pfeile im Köcher zu haben. Solange diese Mittel wirksam sind und es keine nennenswerten Resistenzen gegen die Wirkstoffe gibt, kann man zumindest ein bisschen entspannt sein“ sagt der Uni-Professor. Dass man aber immer mit Überraschungen rechnen müsse, zeige seit Sommer 2023 das Auftauchen der sogenannten Affenpocken, auch Mpox genannt, in Deutschland. „Das kam völlig unerwartet“, so Hilgenfeld.