Das Forum und der Verein Sprungtuch hatten für Dienstagabend alle Kandidatinnen und Kandidaten in das Haus Eden in der Königstraße zu einer Diskussion über Bildung und Arbeit, Wohnen, Teilhabe, Chancengerechtigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt eingeladen. Die Veranstalter rechneten mit 50 bis 100 Besuchern.
Auch die AfD-Kandidatin Kerstin Przygodda hatte ihr Kommen zugesagt. „Wir hatten noch nie Rückmeldungen von der AfD“, berichtet Aydin Candan vom Migrationsforum, das seit Jahren zu allen möglichen Wahlen Foren veranstaltet.
„Wir konnten nicht einschätzen, was im Publikum passiert“, erklärt der Vorsitzende die Absage, „und wir befürchteten eine Demo vor dem Veranstaltungsraum.“ Es habe keine konkreten Bedrohungen gegeben, sagt Mitveranstalter Julius Schorpp von Sprungtuch, „aber wir hatten die Sorge, dass wir die Veranstaltung nicht handhaben können.“ So hätten die Veranstalter auch über die Einschaltung eines Sicherheitsdienstes diskutiert. Nach LN-Informationen hat es im Vorfeld eine telefonische Anfrage aus der linken Szene beim Vermieter des Hauses Eden gegeben, ob die AfD dort auftrete.
Was sagen die Kandidatinnen und Kandidaten zur Absage? „Zurzeit erleben wir leider, dass politische Veranstaltungen und Diskussionen niedergebrüllt und verhindert werden“, erklärt die AfD-Bewerberin Kerstin Przygodda, „jeder hat das Recht, eine Demo zu veranstalten, aber mit friedlichen Mitteln und ohne dass dabei ein Sicherheitsrisiko entsteht.“
„Ich finde die Absage natürlich sehr schade, weil ich die Diskussion und den demokratischen Austausch sehr wichtig finde“, sagt Tim Klüssendorf (SPD). „Dass die gesellschaftliche Stimmung momentan sehr angespannt ist und sich deshalb Veranstalter nicht gut dabei fühlen, einen politischen Austausch zu organisieren, bedauere ich sehr.“ Er appelliert, dass die Gesellschaft wieder enger zusammenrücken müsse.
Sebastian Kai Ising (Freie Wähler) ist grundsätzlich dagegen, „vor undemokratischem Geist zu kapitulieren“. Auch das linke Spektrum müsse zur sachbezogenen Politik zurückfinden und hektischen Aktionismus unterlassen. „Dieser verstärkt nur Spaltung und Panik im Land und führt letztlich zu Angst“, sagt Ising,
Kathrin Ostertag, Kandidatin von Volt, hat als Patin eines Flüchtlingskindes eine persönliche Verbindung zum Thema Migration und hätte gerne mit der AfD-Kandidatin diskutiert. „Leider wird viel zu wenig über die Ursachen misslungener Migration gesprochen“, sagt Kathrin Ostertag, „dass wir eine Migration aus humanitären, aber auch sozialen und wirtschaftlichen Gründen benötigen, ist für mich glasklar.“
Lüder Möller, Bundestagskandidat der MLPD, wurde von der Absage überrascht. „Wenn es Unruhe wegen der Teilnahme der AfD-Vertreterin gegeben hätte, hätte diese ja auch ausgeladen werden können“, erklärt Möller. FDP-Kandidat Robert Schörck hält es für „ein alarmierendes Signal, wenn eine solche Debatte nicht geführt werden kann, weil befürchtet wird, dass Proteste oder Unruhen eine sachliche Diskussion unmöglich machen.“ Er habe Verständnis für die Veranstalter, erklärt Andreas Müller, Kandidat der Linken. Aber er hätte keine Sorgen gehabt, sich auf das Podium zu setzen.
Dagegen bekommt die CDU die aufgeheizte Stimmung zu spüren. Am Samstag, 1. Februar, hatte die Partei in der Breiten Straße einen Infostand aufgebaut, und ganz in der Nähe hielten sich zwei Polizeibeamte auf. „Wir haben die Polizei auf unsere Infostände hingewiesen“, bestätigt der CDU-Kreisvorsitzende Hermann Junghans.
Auslöser für diese Vorsichtsmaßnahme war die Mahnwache mit mehreren hundert Teilnehmenden am vorangegangenen Donnerstag auf dem Markt, die von CDU-Politikern als beklemmend wahrgenommen worden war. „Wir werden auch künftig der Polizei unsere Infostände mitteilen“, sagt Junghans. Veranstaltungen würde die Partei aber nicht absagen.
Die Grünen würden keinen Polizeischutz benötigen, berichtet Bundestagskandidat Bruno Hönel, auch der Vandalismus sei dieses Mal weniger ausgeprägt und die Stimmung weniger feindselig als in den vorherigen Wahlkämpfen. Persönliche Bedrohungen in den sozialen Medien seien gleichwohl an der Tagesordnung, sagt Hönel. Ein im Bereich des Vorwerker Friedhofs mit Deutschlandflagge und dem Spruch „Bruno, ich weiß, wo Du wohnst“ beschmierter Kasten wurde der Polizei gemeldet. Das Migrationsforum und der Verein Sprungtuch prüfen nach eigenen Angaben derzeit alternative Formate, „um den wichtigen Dialog dennoch zu ermöglichen.“
Für den 8. Februar ruft das Bündnis gegen rechts zu einer großen Mahnwache um 15 Uhr auf dem Markt auf.