Oben an der Treppe zum Gleis steht eine ältere Dame. „Meine Güte, was machen die ganzen Polizisten denn da?“, fragt sich die Frau, die auf ihre Tochter wartet. „Messerkontrolle? Was soll das? Na ja, an und für sich ist es ja gut.“
Der Zug hält, jede Menge Menschen verteilen sich auf dem Gleis und gehen in Richtung Treppe. Ein Beamten-Team hat sich einen jungen Mann mit Bart ausgeguckt. Sie sprechen ihn freundlich an, machen ihn darauf aufmerksam, dass heute Messerkontrollen stattfinden. Sie durchsuchen seine Taschen und er muss seinen Rucksack öffnen. Die Beamten finden ein Cuttermesser.
„Ist das wirklich verboten? Das brauche ich für meinen Beruf“, sagt der Mann, der nach eigener Aussage als Auspacker in einer Zigarettenfabrik arbeitet. Ob das stimmt oder nicht, wird geklärt – und zwar vom Ordnungsamt. Das Cuttermesser wird vorerst sichergestellt, der junge Mann wird sich in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren erklären müssen. Da wird sich auch entscheiden, ob er sein Cuttermesser zurückbekommt.
Auch wenn ein Cuttermesser eher ein Arbeitsgerät und nicht unbedingt als Waffe angesehen werden könnte, ist es verboten, dies im ÖPNV mit sich zu führen. Diese Regelung ist neu. Um die Gefahr von Angriffen mit Messern und Waffen in Bussen und Bahnen zu reduzieren, hat die Landesregierung Ende 2024 eine Verordnung erlassen, nach der Waffen und Messer im ÖPNV nichts mehr zu suchen haben. Verstöße können mit Geldbußen bis zu 10.000 Euro geahndet werden. Ausnahmen gibt es für Personen, die aus beruflichen Gründen ein Messer mitführen müssen oder für Menschen, die Messer „nicht zugriffsbereit“ befördern – etwa das Apfelschälmesser, das in einem Etui mit Reißverschluss im Rucksack befördert wird.
Dienstagmittag kontrollieren die Beamten erstmalig am Lübecker Bahnhof das Messerverbot. Die Polizeipräsenz in dem kleinen Bahnhofsgebäude ist massiv. Überall sieht man Landespolizisten, Bundespolizisten, Mitarbeiter des Kommunalen Ordnungsdienstes – der ein oder andere Fahrgast denkt bei diesem Anblick eher an eine Bedrohungslage als an mehr Sicherheit.
Aber Fakt ist: Die Beamten wurden bei ihrem ersten Kontrolleinsatz fündig.Zehn Klapp- und Einhandmesser haben sie bei der Kontrolle von rund 60 Personen innerhalb von vier Stunden gefunden. Und in Zukunft werden sich Fahrgäste von Bahn und Bus an Kontrollen des Messerverbotes gewöhnen müssen, denn: „In den kommenden Wochen werden wir aktiv mit Kontrolleinsätzen beginnen“, heißt es von der Landespolizei.
Ein junger Mann, der gerade aus Hamburg nach Lübeck gekommen ist, hat nichts von alledem dabei – dennoch wird er kontrolliert. „Was soll das? Die haben mich nur kontrolliert, weil ich nicht aussehe wie ein Deutscher“, sagt der Mann mit dunklen Locken, der es sehr eilig hat und auf dem Weg zum Ausgang des Bahnhofs ist. „Alle anderen haben sie durchgelassen, mich nicht. Das ist nicht in Ordnung! Ich muss jetzt los, ich habe einen wichtigen Termin.“ Laut Polizeisprecher Ulli Fritz Gerlach könne es bei der Kontrolle jeden treffen, die Beamten wollen niemanden stigmatisieren. Aber die meisten der kontrollierten Personen waren am Dienstagmittag junge Männer, ältere Frauen über 80 waren nicht dabei. „Na ja, wir kontrollieren nach Augenmaß. Es geht uns primär um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und darum, dass es weniger Gewaltdelikte gibt.“
Zwischen zwei Geschäften im Bahnhofsgebäude schnappt sich ein Beamter der Landespolizei einen jungen Mann mit Bart. Erst schaut er in seine kleine, schwarze Tasche und findet Sportklamotten. „So, jetzt muss ich Dich nochmal abtasten“, sagt der Polizist, woraufhin der Mann nickt. Finden tut der Beamte nichts, der Mann kann gehen. „Und lass Dich nicht anschnacken, näh?“, ruft der Polizist ihm hinterher. „Nur von der Polizei“, entgegnet der Mann und lächelt.
Ähnlich gelassen nimmt ein junger Mann aus Spanien die Kontrolle der Polizisten zur Kenntnis. „Es ist mir egal, schließlich habe ich kein Messer dabei“, sagt er. „Ich finde es sogar gut, denn dadurch gibt es hoffentlich weniger Anschläge und Messerattacken.“
Oben an der Treppe zu Gleis vier wartet die ältere Dame immer noch auf ihre Tochter, die ihren schweren Koffer die Stufen heraufschleppt. „Messerkontrolle“, sagt sie und lacht, während sie ihre Mutter innig umarmt. „Wurdest Du etwa auch kontrolliert?“, fragt die Mutter. „Nein, ich glaube, ich sah denen einfach zu harmlos aus.“