Die bekämen das schon jetzt zu spüren. „In Malente werden Schmerzpatienten gar nicht mehr aufgenommen“, sagt Mokhtari. Das hätten ihr Patienten erzählt. „Früher hieß es immer, wer Schmerzen hat, muss angenommen werden. Heute geht das gar nicht mehr.“ Ähnlich extrem sei es in Heiligenhafen und Schönwalde. Auch sie, sagt Mokhtari, müsse ganz oft Hilfe suchende Menschen abweisen. „Wir haben viele Anrufe am Tag von Patienten, die eine Praxis suchen.“
Das Problem sind aus Sicht der Zahnärztin die immer extremeren Regeln und Vorschriften, die den Dentisten auferlegt werden. Mokhtari nennt Beispiele. Wegen eines winzigen Risses, kürzer als der Durchmesser einer Centmünze seitlich im Polster eines Behandlungsstuhls, musste sie die gesamte Sitzfläche samt Bezug austauschen. Kosten: 600 Euro. Alle elektrischen Geräte einschließlich der Kaffeemaschine müssten regelmäßig überprüft, medizinische Geräte zusätzlich validiert werden. Das koste jedes Jahr 1400 Euro.
Sogenannte Begeher prüften pingelig jede Kleinigkeit. „Landesamt für soziale Dienste, Gesundheitsamt, Arbeitssicherheit, jeder prüft etwas anderes“, klagt Mokhtari. Für das Wasser zum Mund ausspülen sei das Landesamt zuständig, für das Wasser aus dem Wasserhahn das Gesundheitsamt. „Es ist für eine Einzelpraxis nicht mehr möglich, alle Anordnungen zu erfüllen“, lautet ihr Fazit.
Ähnliche Klagen kommen von Anke Staffeldt. „Diese Kontrollen sind auf Klinik- und OP-Niveau“, sagt sie. Das sei völlig überzogen, zumal es in schleswig-holsteinischen Zahnarztpraxen seit Jahren keine einzige nachgewiesene Infektion gegeben habe. „Es ist nicht mehr auszuhalten, was alles vorgehalten werden muss“, sagt Staffeldt.
Ein weiteres Beispiel, was demnächst drohen könnte, schildert Dr. Claudia Stange, Zahnärztin in Tornesch und Vorstandsmitglied der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein: Der sogenannte Anpressdruck beim Benutzen von Desinfektionstüchern zum Reinigen von Instrumenten soll von externen Prüfern validiert werden, jedes Mal. „Die Frage ist, wie das praktisch gehen soll“, sagt Stange und nennt ein weiteres Beispiel: „Neue Geräte müssen vor dem ersten Gebrauch validiert werden. Das ist so, als wenn man mit einem neuen Auto als Erstes zum Tüv muss.“
All das kostet Zeit. Zeit, die für die Patienten fehle, sagen die Dentistinnen. „Geld ist nicht die Lösung, Zeit wäre eine Lösung“, sagt denn auch Anke Staffeldt. Sie verwende von 38 offiziellen Praxisstunden pro Woche mindestens 17 Stunden für Bürokratie. Hinzu kämen ein dramatischer Personalmangel und immer mehr Patienten bei immer weniger Praxen. Als Beispiel nennt Staffeldt Malente, wo es nur noch drei von einst sechs Praxen gebe. Die Folge: Auf jede Praxis kommen weit mehr als 2000 Patienten, normal sind im Durchschnitt 1200.
Die Folge der Kontrollen und des Personalmangels sei das leise, stille Sterben der Einzelpraxen, sagen die Zahnärztinnen.Einen Nachfolger zu finden, werde immer schwerer. Auf dem Land kommen inzwischen 1500 Einwohner auf einen Zahnarzt. „Unser Problem ist es, Zahnärzte aufs Land zu bekommen“, sagt Kammervorständin Stange. Die Alternative nennt Mokhtari: „Irgendwann werden wir nur noch Großpraxen in den Städten haben, da geht es um Kommerz.“Solche von Investoren geführten Versorgungszentren mit angestellten Zahnärzten gibt es in Schleswig-Holstein laut Stange bereits. Es gebe von dort Rückmeldungen, dass die Ärzte bestimmte Quoten zu erfüllen hätten, mit Auswirkungen auf das Abrechnungsverhalten. Aber: „Wir sind keine Quotenerfüller.“Die Konsequenz aus all diesen Problemen spüren die Zahnärzte mit hohen Burn-out-Raten und die Patienten. „Mehr als die Hälfte der Praxen nehmen keine neuen Patienten mehr auf“, sagt Anke Staffeldt. Selbst Schmerzpatienten bekommen, so lautet unisono die Auskunft, nur unter größten Schwierigkeiten, wenn überhaupt noch einen Termin. Und die Situation könnte sich noch verschlimmern. Yasmin Mokhtari weist darauf hin, dass ein Praxisinhaber nach dem anderen ins Rentenalter kommt. In Eutin, ergänzt Staffeldt, hätten bereits zwei Praxen wegen fehlender Nachfolger geschlossen. „Und die Zahl der Patienten hat zugenommen, die brauchen alle eine Versorgung.“