Gerippe, so weit das Auge reicht. In der gepflegten Vorstadtstraße im Lübecker Stadtteil St. Lorenz Nord steht in nahezu jedem Vorgarten ein grau-braunes Buschskelett. Abgefressen bis auf das letzte Blatt: Dass die Pflanzen früher edle Buchsbäume waren, lässt sich nur noch erahnen. Leben jedenfalls steckt nicht mehr in ihnen.
So wie in dieser Straße sieht es derzeit fast überall in Lübeck aus. In Vorgärten, Parkanlagen, in Hinterhöfen und Schrebergärten. Auch Friedhöfe verschont die Raupe des Buchsbaumzünslers nicht. „Auf dem Vorwerker Friedhof wuselt es derzeit in jeder Hecke“, sagt Sabine Watzinger von der Gärtnerei Hinze.
Die Gärtnerei liegt direkt gegenüber des Friedhofes in der Friedhofsallee in Lübeck. Und der Buchsbaumzünsler ist eines der Topthemen im Betrieb – bei den Angestellten und den Kunden. „Es ist wirklich sehr schlimm gerade“, sagt Sabine Watzinger. So schlimm, dass Gärtner schon die weiße Flagge vor dem kleinen grünen Unhold schwenken.
„Auf dem Friedhof holen wir gerade die ganzen Buchsbäume aus der Erde und ersetzen sie durch andere Pflanzen“, berichtet sie. Kunden, die doch gerne noch Buchsbäume pflanzen wollen, reden Sabine Watzinger und ihre Kollegen ins Gewissen. Denn für die Gärtnerin ist klar: „Langfristig werden wir uns wohl vom Buchsbaum verabschieden müssen.“ Da helfe es auch nicht, dass laut Watzinger alle derzeit „wie verrückt“ gegen den Zünsler spritzen.
Von im Handel erhältlichen Spritzmitteln hält Sabine Jebens-Ibs vom Lübecker Nabu nichts. Dabei ist sie selbst Gärtnerin – und bekennender Buchsbaum-Fan. Der Buchsbaum habe eine hohe gestalterische Kraft, sagt Jebens-Ibs. Sie selbst habe bereits Pflanzen an den Zünsler verloren. „Das macht mich total traurig.“
Auch das vermeintlich biologische Mittel „Raupenfrei“ will Jebens-Ibs nicht einsetzen. „Das Mittel enthält das Bacillus thuringiensis, das die Zünsler-Raupen tötet. Leider wirkt es auch bei anderen Schmetterlingsraupen so.“ Den Kampf gegen den Buchsbaumzünsler hat die Naturschützerin aufgegeben: „Ich habe einfach nicht mehr die Kraft, jeden Tag etwas gegen den Zünsler zu tun.“ Traurig fügt sie hinzu: „Ich glaube, dass der Buchsbaum verloren ist.“
So leicht will Frank Matthiesen das Feld nicht räumen. Matthiesen hat einen Kleingarten in Lübeck-Vorrade und ist Kreisfachberater für Pflanzenschutz. Menschen hätten ihre Buchsbäume zum Teil seit Jahrzehnten in ihren Gärten, er selbst sei mit alten Buchsbäumen von einem Kleingarten in den nächsten umgezogen. „Da gibt man den Kampf nicht so einfach auf.“ Matthiesen empfiehlt seinen Gartenfreunden daher die Anwendung von „Raupenfrei“. Das sei aber gerade überall ausverkauft.
Im Lübecker Schulgarten macht sich Gundel Granow vom Grünen Kreis auch Sorgen um die Buchsbaumhecken. Dreiviertel des Bestandes sei bereits geschädigt. „Wir lassen es aber geschehen“, sagt Granow. Denn im Schulgarten würde biologisch gegärtnert – und damit giftfrei. „Wenn die Schäden noch größer werden, müssen wir die Buchsbäume gegen andere Pflanzen austauschen.“ Woher kommt ihr Gleichmut? „Mit dem Zünsler bekommen wir gerade aufgezeigt, dass wir manchmal einfach nicht viel gegen die Natur ausrichten können.“
Einen wissenschaftlicheren Ansatz hat Dr. Susanne Füting. Die Biologin und Leiterin des Lübecker Museums für Natur und Umwelt hat in ihrem Garten selbst mit der verfressenen Raupe zu tun. „Ich sehe das aber entspannt. Denn wir Menschen haben den Falter selbst aus Asien hierher eingeschleppt.“ Letzten Endes würde die Natur das Problem regeln. Nach Fütings Auskunft hätten Spatzen, Meisen und Wespen die Raupe des Zünslers bereits als Futter entdeckt.
„Damit das funktioniert, sollten die Gärten naturnah angelegt sein“, empfiehlt die Biologin. In diesem Jahr hätte das warme Frühjahr das frühe Auftreten des Zünslers befördert. Daher schließt es die Biologin auch nicht aus, dass es 2024 noch mehr Generationen des Schädlings als üblich geben könnte. „Alle zwei bis drei Monate kommt eine neue Generation.“ Gärtner hätten keine andere Möglichkeit, als das zu akzeptieren. „Das ist ein Teil des Lebenskreislaufes.“
Es geht wohl nur mit Gelassenheit. Die müssen auch Fans von Lübecks wohl berühmtester Buchsbaumhecke mitbringen. Denn selbst die Buchs-Welle am Gebäude der früheren Landeszentralbank am Holstentor ist schon stark vom Zünsler zerfressen. Einen Tipp für alle Gärtner hat die Gärtnerei Aeschlimann: Einfach was anderes pflanzen. Der Betrieb in Groß Grönau hat Buchsbäume komplett aus dem Programm genommen.