Aktion gegen Schockanrufe:
Ärzte helfen den Senioren
Fallzahlen von Betrügereien am Telefon sind wieder gestiegen – Kampagne bietet kostenlose Infos in den Praxen.

Wollen gemeinsam Senioren aus der Region vor Schockanrufen besser schützen: Birgit Stamer, Holger Dabelstein (Weisser Ring), Silke Ziemann (Polizei Lübeck), Elke Ahlering (Weißer Ring OH ), Yvonne Frambach (Hautärztin aus Lübeck) und Torsten Koop (Sicherheitsberater für Senioren).Foto: Jan Scheper
Lübeck. Das helle Wartezimmer ist voll, die Stimmung gut, krank wirkt keiner. In der Praxis der Lübecker Hautärztin Yvonne Frambach sitzen ausnahmsweise mal keine Patienten. Stattdessen stellen Polizei und Weißer Ring die Aktion „Terminzettel“ vor. Seniorinnen sollen bei Fachärzten in Lübeck und Ostholstein mit neuem Info-Material über Schockanrufe aufgeklärt werden. Frambach und ihre Kollegin Yvonne Gaber nehmen an der Initiative teil.Die potenziellen Opfer sind meist jenseits der 70. Sie sollen durch die knackig zusammengefassten Hinweise wachsamer und „handlungssicherer“ werden, falls sie von Betrügern am Telefon unter Druck gesetzt werden. Die geben sich als Polizisten, Staatsanwälte oder Richter aus, verlangen Geld oder Wertgegenstände. Erst am 1. August fiel eine Frau in Eutin wieder auf die Enkeltrick-Masche rein.Die Polizei sucht Zeugen.Die Fallzahlen, das wird im Gespräch im Haut- und Venenzentrum auf der Kronsforder Allee schnell deutlich, steigen wieder. Allein durch Schockanrufe ist in Lübeck und Ostholstein 2024ein sechsstelliger Schaden entstanden. Bei allen Enkeltrick-Straftaten, die auch den „falschen Polizeibeamten“, der an der Tür um Wertsachen bittet und betrügerische Whatsapp-Nachrichten umfasst, waren es im ganzen Bundesland mehr als 2,6 Millionen Euro. Die Summe wurde dieses Jahr schon im Juni erreicht.In der Hansestadt läge man aktuell, laut Polizei, „bei 1,5 Millionen Euro“.

„Die Initiative kommt zur rechten Zeit“, sagt Holger Dabelstein, Außenstellenleiter vom Weißen Ring Ostholstein. Seine Kollegin Elke Ahlering hatte die Idee zur Aktion und von einem ähnlichen Projekt in Niedersachsen gelesen. Sie hat selbst einen Schockanruf erlebt. Angeschoben haben die Kampagne dann zudem die Polizei in Lübeck und Ostholstein sowie der Weiße Ring in der Hansestadt. Partner sollen bald zahlreiche Facharztpraxen in der Region werden.

Ehrenamtliche und das Team der Polizei-Präventionsstelle um Leiterin Silke Ziemann wollen Ärzte nun bis Oktober für ihre Kampagne vor allem im „persönlichen Gespräch“ gewinnen. Mails, etwa an Fach-Verbände oder die Kassenärztliche Vereinigung, seien vorab „nicht verschickt worden“, erklärt Ziemann.

Schwierig werden dürfte das eigentlich nicht. Das knackige Info-Material gibt’s kostenlos. Insgesamt wurden 1000 Terminzettelblöcke à 50 Blatt und 2500 Plakate fürs Wartezimmer − „Achtung! Betrüger am Telefon!“ − gedruckt, die Kosten über Spenden gegenfinanziert. Die Ansprache ist einfach und klar, wichtige telefonische Kontaktdaten sind zudem enthalten.

Die Initiatoren haben zwei Zielgruppen im Blick: die potenziellen Opfer selbst − und ihre Kinder, um die 50. Auch innerhalb der Familien soll der Austausch zu den auch emotional belastenden Telefonaten angekurbelt werden. Das könnte auch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass mehr versuchte Schockanrufe bei der Polizei gemeldet oder in solchen Fällen Anzeige erstattet wird. Oft wird sonst aus Scham geschwiegen.

Praxen als Touchpoint seien eine gute Idee, sagt Yvonne Frambach. Die „Stammklientel“ der entsprechenden Altersgruppe käme durchaus alle drei bis sechs Monate zu Terminen vorbei. Bei anderen Fachärzten, etwa Urologen oder Internisten, dürfte es ähnlich laufen.

Wie gut die Kampagne funktionieren wird und ob Straftaten verhindert werden, ist nicht direkt messbar, ein generelles Problem bei Präventionsmaßnahmen. Zählbar wäre allerdings, ob Anfragen bei Polizei und Weißem Ring bis zum Herbst zunehmen. Denn beide, so steht’s auf den gut gemachten Plakaten, sind auch für Vorträge zum Thema buchbar. und jsch
Druckansicht