Die Bauarbeiter verlangsamten ihre Tätigkeit, als sie auf das Mauerwerk stießen. Auf LN-Anfrage bestätigt die stellvertretende Stadtsprecherin Nina Rehberg: Es seien eindrucksvolle Spuren Lübecker Stadtgeschichte, die freigelegt wurden. Wer stadtauswärts in Richtung Mühlentorbrücke geht, der sieht auf der rechten Seite kurz vor der Brücke einen Schaukasten mit dem Miniatur-Nachbau des historischen Bauwerkes. Und eben dort mussten die Bauarbeiter in die Tiefe und entdeckten das Mauerwerk.
„Dieses ehemals repräsentative Renaissance-Tor war ein Schmuckstück der städtischen Befestigungsanlagen“, erläutert Rehberg. Im 16. Jahrhundert verstärkten die Lübecker gezielt bis dahin noch gefährdete Punkte des Verteidigungsrings durch zusätzliche Erdwälle und neue Toranlagen – so auch das Mühlentor, das Teil dieser Ausbauphase war. Das Besondere: „Bislang war es nur aus historischen Plänen, Zeichnungen und schriftlichen Quellen bekannt – nun konnte erstmals ein archäologischer Nachweis erbracht werden.“
Die Backsteinformate datieren die Mauerreste in die Zeit zwischen 1550 und 1553. Errichtet nach dem Vorbild des Holstentors, bestand das Bauwerk aus einem mittleren Giebelbau, flankiert von zwei mächtigen Rundtürmen, die der Anlage ein repräsentatives und wehrhaftes Äußeres verliehen. Die nun freigelegten Mauerzüge zeigen ebenfalls eine charakteristische Rundung, die den Zusammenhang mit diesen Türmen stützt.
Nach Recherchen der Gesellschaft Weltkulturgut Hansestadt Lübeck e.Vmusste das prächtige Tor in den Jahren 1662/63 weichen, weil die Wälle und Bastionen um- und ausgebaut wurden. Anstelle des Tores wurde eine Kurtine (Zwischenwall) angelegt, in die ein niedriges und relativ schmuckloses Tor eingefügt wurde. Dieses Tor überdauerte die Zeit bis 1808, heißt es auf der Website der Gesellschaft, die im Rahmen der Werkstatt „Zeit-Punkte“ mit Freiwilligen den Modellbau von historischen Zeugnissen der Baugeschichte in Lübeck umgesetzt hat. Diese Modelle sind an verschiedenen Orten der Stadt in Vitrinen zu bewundern – so auch das Mühlentor an den jetzt entdeckten Grundmauern.Bereits 1897, beim Bau des Elbe-Lübeck-Kanals, wurden einige wenige Überreste der Stützmauern eines Brückenvorgängerbaus von 1674 freigelegt, führt Nina Rehberg aus. „Die Annahme, dass noch Reste des Tores unter der heutigen Straßenoberfläche liegen, konnte nun durch archäologische Untersuchungen bestätigt werden.“
Die Fundstelle liegt innerhalb des ausgewiesenen Grabungsschutzgebietes der Lübecker Altstadt. Entsprechend wurde der Fund durch die Archäologie Lübeck im Rahmen einer baubegleitenden Dokumentation sorgfältig erfasst.
Doch was passiert nun mit dem Fund? „Die Mauerreste verbleiben im Boden und damit unter dem dauerhaften Schutz des Welterbes – ein wichtiger Beitrag zur Bewahrung des archäologischen Erbes der Hansestadt“, sagt Rehberg.
Die Arbeiten an der sanierungsbedürftigen Brücke schreiten voran. Die ausführende Firma hat die Betonplatten auf den alten Geh- und Radwegen der Mühlentorbrücke bereits ausgehoben, teilt Nina Rehberg mit. Durch den Fund der Mauer im Erdreich hätten sich die Arbeiten für den Schachteinbau der Telekom etwas verschoben.
Doch das soll laut Stadt nicht zu Verzögerung führen: „Die Baumaßnahme wird voraussichtlich wie geplant zum 5. September 2025 abgeschlossen“, sagt Nina Rehberg.