„Es gibt ein enormes Potenzial an erneuerbarem Strom von Gewerbedächern“, sagte Prof. Michael Bischoff vom Verein Klimaentscheid Lübeck. Die Kommune alleine könne die Energiewende nicht einleiten. „Verbraucher, Privatleute und Wirtschaft müssen sich beteiligen“, forderte der Hochschullehrer.
Weil Windkraft in der Hansestadt fast keine Rolle spiele, bleibe nur der Ausbau der Photovoltaik, sagte der städtische Klimamanager Ben Colin Matthies. 2040 benötige Lübeck rund 800 Millionen Kilowattstunden erneuerbaren Stroms, 40 Millionen Kilowattstunden würden aktuell produziert. 300 Millionen Kilowattstunden auf Gewerbedächern seien technisch leicht umsetzbar, erklärte der Klimamanager. „Das würde auch die Landschaft schonen, und wir würden der Landwirtschaft keine Konkurrenz um Flächen machen.“
Für die Unternehmen seien die Investitionen reizvoll, weil sie mit PV-Anlagen viel Geld sparen könnten, ist Ben Colin Matthies überzeugt. Gregor Zwingmann, Chef von Polster Aktuell, hat es gewagt. Das Möbelunternehmen mit 14 Häusern in fünf Bundesländern arbeitet seit 2017 zusammen mit der Technischen Hochschule Lübeck an der Umstellung auf nachhaltiges Wirtschaften.
Am Standort Lübeck hat Zwingmann das 500 Quadratmeter große Dach eines Firmengebäudes mit 300 PV-Modulen bestücken lassen. 80.000 Euro hat der Lübecker Unternehmer investiert, 91.000 Kilowattstunden Sonnenstrom produziert die Anlage im Jahr. Die Kosten für selbstproduzierten Strom seien in jedem Fall deutlich geringer als der Strombezug aus dem Netz, sagte Gunnar Brocks von den Stadtwerken Lübeck.
Unternehmer, die sich für diesen Weg entscheiden, müssen sich aber durch einen Wust an Förderbedingungen, baurechtlichen Vorschriften und juristischen Feinheiten wühlen. Die Handwerks- und die Industrie- und Handelskammer bieten ihre Hilfe an. Studierende der Technischen Hochschule unterstützen in Projektarbeiten die Betriebe und erarbeiten Vorschläge für ein nachhaltiges Unternehmen – ohne Bezahlung. Die Klimaleitstelle der Stadt entwickelt gerade ein Förderprogramm mit einem Volumen von 50.000 Euro.
Und es gibt Lübeck-typische Hindernisse. Selbst in Gewerbegebieten wie Roggenhorst könne die Genehmigung von PV-Anlagen auf Firmendächern durch die Behörden scheitern, „weil die Spiegelung der Module die Sichtachsen auf das Weltkulturerbe stören würde“, berichtete Ralf Giercke von der Bürgerenergie-Genossenschaft Lübeck.
„Anfragen zu Anschlussmöglichkeiten von großflächigen PV-Anlagen auf Gewerbebauten werden negativ beschieden“, sagte auch Detlev Stolzenberg, Fraktionschef der Unabhängigen Volt-Partei. Stolzenberg hat dazu jetzt eine Anfrage an die Verwaltung gestellt: „Für wie viele großflächige Photovoltaikanlagen auf Dächern in Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten gibt es Anfragen zu Anschlussmöglichkeiten ins Netz der Stadtwerke, denen nicht im vollen Umfang entsprochen werden kann?“ Eine Antwort soll im März erfolgen.
Aus Sicht der Grünen bieten PV-Anlagen auf Gewerbedächern sogar die Chance, auf Freiflächenanlagen zu verzichten. Umweltpolitikerin Silke Mählenhoff: „Die Nutzung der nicht unerheblichen Fläche von 300 Hektar bietet enormes Potenzial und sollte aus Umweltsicht vorrangig vor dem Bau der Anlagen in der Landschaft stehen.“