Drängeln, hupen, meiden: Ein Besuch
an Deutschlands gefährlichster Kreuzung
Was macht den Lindenteller so gefährlich, und wie könnte er sicherer werden? – Das sagen Verkehrsteilnehmer.

Auf dem Lindenteller in Lübeck müssen Verkehrsteilnehmende besonders aufeinander achten, damit kein Unfall passiertFoto: F. Grabitz
St. Lorenz SÜD. Es ist ein diesiger Morgen zwischen 7.30 und 8.30 Uhr auf Deutschlands gefährlichster Kreuzung, dem Lübecker Lindenteller. 78-mal hat es hier von 2021 bis 2023 gekracht, das ist einmal in zwei Wochen. Was macht den Kreisel, der Bahnhof und Innenstadt verbindet, so gefährlich?

Autos, Busse und Fahrräder drängeln sich im Lindenteller. Noch haben sie alle Licht an. Es ist Rushhour, alle wollen schnell zur Arbeit oder in die Schule.

Ein schwarzer Corsa nimmt einem Bus die Vorfahrt, der bremst ab und hupt. Eine Fahrradfahrerin, die Richtung Puppenbrücke fährt, wird um ein Haar von einem Mercedes erfasst, der aus der inneren Spur in die Moislinger Allee abbiegt. Sie rettet sich auf den Randstreifen, das Auto bremst nicht einmal ab. Dann stockt der Verkehr. Zwei SUV wollen gleichzeitig abbiegen und sind sich nicht einig, wer zuerst fahren darf.

Alle drei Situationen sind gefährlich, weil der Wechsel zwischen den zwei Spuren im Kreisel oft nicht gut funktioniert. „Mich hat so auch mal ein Autofahrer fast erwischt“, erzählt der Fahrradfahrer Tobias. „Im Berufsverkehr haben es einfach alle eilig“. Eine ältere Fahrradfahrerin schiebt ihr Rad. Das macht sie hier immer so, seit sie vor einigen Jahren in einem Lübecker Kreisverkehr fast einen Unfall hatte.

Drei der fünf gefährlichsten Kreuzungen Deutschlands liegen in Lübeck, und sie sind alle Kreisverkehre: Der Ziegelteller belegt Platz fünf, der Berliner Platz Rang vier. Auf dem Lindenplatz wurden in 49 der 78 Unfälle Fahrradfahrer verwickelt, das ist mehr als auf jeder anderen Kreuzung Deutschlands.

Weil Fahrräder hier oft übersehen werden, wünscht sich der Schüler Aimen Ben Zalem für sie „eine eigene Spur“. Er hat sein Fahrrad auch durch den Lindenteller geschoben, bis er vor Kurzem den Führerschein machte. „Hier ist es besonders wichtig, die Verkehrsregeln zu kennen“, sagt er.

Viele Autofahrer halten sich aber nicht an die Regeln. Die zwei Spuren in der Mitte sind durch eine durchgezogene Linie abgetrennt, die oft überfahren wird, sagt Lena Pieconka. „Vielleicht sollte man das besser ausschildern oder durch eine Barriere abtrennen“, schlägt sie vor. Sie arbeitet in der „Apotheke am Lindenplatz“ und hat durch die Glasfront der Schaufenster schon öfter Unfälle mit ansehen müssen. Die Fahrbahn auf eine Spur zu reduzieren, könnte dagegen zu Staus führen, fürchtet sie.

Ein Taxifahrer, der seit 13 Jahren täglich durch den Kreisel fährt, fände es besser, wenn es dort mehr Verkehrskontrollen und weniger Verkehr gäbe. Er würde aber ungern den Autoverkehr reduzieren, sondern eher die E-Roller: „Manche fahren sogar zu zweit damit, das ist gefährlich. In Paris wurden die Roller ja auch verboten“. Schon zweimal hatte er auf dem Lindenteller selbst Unfälle. Beide Male fuhren ihn Autos an, die aus der inneren Spur kamen und den Kreisel verlassen wollten.

Die Stadt hofft, den Verkehr ab dem Frühjahr durch die neue Stadtgrabenbrücke zu entzerren. Der Busfahrer Andreas glaubt, dass der Lindenteller auch danach noch ein Nadelöhr sein wird. Sein Kollege, der heute die Linie 11 Richtung Schlutup fährt, findet, dass die Ampeln auf Fackenburger und Moislinger Allee zu dicht am Kreisverkehr stehen.

Wichtiger sei aber etwas Anderes: „Wir nutzen zu viel unsere Ellenbogen. Als Busfahrer muss ich immer cool bleiben – das ist wichtig. Vielleicht sollten alle versuchen, dass wir uns wieder mehr gegenseitig sehen und aufeinander achten“. frg
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