Wenn Unterwasserarchäologe Felix Rösch die schweren Spanten und Decksplanken aus einem der fünf großen Becken hievt, lässt er sich von einem Kollegen mit Gabelstapler helfen. Bei den über 150 Fässern, die pro Stück mehrere Hundert Kilogramm wiegen und sauber aufgereiht sind, ist mit Menschenkraft eh nichts mehr zu machen.
Die Stadt hat die Halle einer früheren Munitionsfabrik in Schlutup gemietet, um die im vergangenen Jahr aus der Trave geborgenen Teile des Frachtseglers zu konservieren, zu dokumentieren, zu digitalisieren und zu untersuchen.
Daniel Balanzategui hat 250 der mehr als 500 Schiffsteile bereits beprobt. Jetzt steht das Baujahr des Handelsschiffs fest: 1642/43. Das tragende Skelett wurde aus Lübecker Eiche hergestellt, während die Planken aus skandinavischem Nadelholz bestehen. Wasserstandsanzeiger am Rumpf geben lübsche Fuß an, sagt Felix Rösch: „Die gab es nur an Lübecker Schiffen.“
Holzwissenschaftler Balanzategui ist sich sicher, dass die 20 Holzscheite aus dem Schiff aus Lauenburgischen Wäldern stammen und als Feuerholz dienten. Aus den Jahresringen dieser Scheite schlussfolgern die Wissenschaftler, dass das Handelsschiff zwischen 1656 und spätestens 1660 gesunken ist.
Sicher sei auch, sagt Felix Rösch, dass das Schiff brennend unterging. Der Unterwasserarchäologe vermutet, dass es in der Nähe des Stülper Huks eine scharfe Wende in der damals noch nicht ausgebaggerten Trave fuhr und dabei an einer seichten Stelle Leck schlug. Wasser drang ein, der Branntkalk in den Fässern reagierte und entzündete sich. Aber noch ist unklar, wo genau das Feuer ausgebrochen ist.
Für die an Bord gefundenen Keramikstücke wurde sogar das Landeskriminalamt (LKA) eingeschaltet. Über 400 Jahre alte Fingerabdrücke werden mit Fingerabdrücken aus einer Töpferwerkstatt aus der Hartengrube verglichen. Pflanzen-, Makro- und Insektenreste aus dem Bauch des Schiffes werden in Edinburgh an der Universität untersucht und ausgewertet. „In jedem Hafen gibt es andere Pollen, Fliegen, Mücken und Käfer“, berichtet Dr. Dirk Rieger, Bereichsleiter Archäologie und Denkmalpflege der Hansestadt, „daraus lassen sich heute noch die exakten Routen und Aufenthalte des Hanseschiffs bestimmen.“
Drei der vier Anker des Frachtschiffs wurden geborgen. Eine Restauratorin ist damit beauftragt, die Korrosion zu stoppen. „Das sind tolle Ausstellungsstücke“, sagt Dirk Rieger und denkt schon weiter, „Anker symbolisieren die Schifffahrt.“
Ein dänisches Labor untersucht die Branntkalkfässer. Es sei ja nicht ganz ausgeschlossen, dass sich noch andere Waren in den Fässern versteckten, erklärt der Archäologe. Vor allem aber soll die Analyse feststellen, woher genau der Kalk kam. „Wenn es Gotländer Kalk ist, dann wissen wir, woher das Schiff kam“, sagt Rieger.
Einige Rätsel haben die Wissenschaftler noch nicht entschlüsselt. Wie hieß das Handelsschiff, wem gehörte es, und wie viel war die Fracht wert? Antworten erhoffen sich die Forscher aus den umfangreichen Archiven der Hansestadt.
Dank der Altersbestimmung der Hölzer können sie den Suchzeitraum einschränken. In einem Kooperationsprojekt mit dem Archiv und der Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums sollen die schriftlichen Quellen durchsucht werden.
Dabei wird Künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt. „Die Akten zu Schiffsunglücken werden digitalisiert und die KI lernt, die Schriften zu entziffern“, erklärt Archäologe Rieger. Große Mengen an Akten könnten so schnell durchgearbeitet werden.
Zuvor aber müssen die digitalisierten, handgeschriebenen Akten des Seegerichts von ehrenamtlich tätigen Bürgern abgeschrieben werden. „Wenn zu dieser Zeit etwas in der Trave passiert ist, kam es vor das Seegericht“, sagt Rösch.
Die Bergung des historischen Handelsschiffs hat 1,9 Millionen Euro gekostet. Die Erforschung der Wrackteile finanziert die Archäologie aus ihrem laufenden Haushalt. Außerdem werden Drittmittel eingeworben. „Für die Konservierung der Hölzer brauchen wir einen politischen Beschluss“, erklärt Kultursenatorin Monika Frank (SPD). Diese Konservierung dauere Jahre. In dieser Zeit werde die Verwaltung zusammen mit der Politik beraten, ob das Wrack zusammengebaut und ausgestellt wird.
Vorher wird aber bereits an 3-D-Modellen gearbeitet, verrät Archäologie-Chef Rieger. Die sollen das Schiff unter vollen Segeln zeigen. Die Forscher hoffen, dass das Schiff bis dahin einen Namen hat.