Es ist kein Prozess, es ist ein sogenanntes Sicherungsverfahren, das da verhandelt wird. Die I. Große Strafkammer muss darüber entscheiden, ob der Angreifer auf Antrag der Staatsanwaltschaft dauerhaft im Maßregelvollzug, also in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses, untergebracht wird. Die Ankläger werfen Helmut K. (63, alle Namen geändert) vor, den nächtlichen Anschlag auf seinen Mitbewohner Andy F. (57) begangen zu haben, um ihn zu töten.
Anwalt verliestFragen dazu will Helmut K. nicht beantworten. Er lässt seinen Anwalt lediglich mitteilen, es stimme, dass er Andy F. mit heißem Wasser übergossen habe, die Antragsschrift sei zutreffend. Ein paar dürre Informationen gibt der Verteidiger aber doch noch. Dem Angriff seien Konflikte vorausgegangen, sein Mandant sei vom späteren Opfer beleidigt und geschlagen worden, es sei aber keine Notwehr gewesen.
Das alles hat sich in einem Kosmos abgespielt, der den meisten Menschen fremd sein dürfte. In der offenen Wohngruppe des Ameos-Klinikums leben Menschen mit geistiger Behinderung. „Minderbegabt“ und „körperlich eingeschränkt“ sagt eine Pflegekraft über Andy F. Über Helmut K. gibt es solche Aussagen nicht, für ihn gibt es keine Befreiung von der Schweigepflicht. Er sitzt ebenso wie sein Opfer im Rollstuhl. Beide sind schmächtig, in sich zusammengesunken, unter dem Kinn von Andy F. sind Brandnarben zu sehen.
„Der untere Teil seines Gesichts und sein Oberkörper waren verbrüht“, berichtet ein Polizeibeamter als Zeuge. „Der Oberkörper war rot, da hatten sich schon Blasen gebildet“, sagt eine Pflegerin aus. „Es war ihm anzumerken, dass er sehr starke Schmerzen hatte.“ Da der Polizeibeamte Lebensgefahr erkannte, schaltete er die Kripo ein.
SpurensicherungBevor er in die Klinik gebracht wurde, berichtete Andy F. noch, dass es Helmut K. war, der ihn angegriffen habe. Der kam erst später herangerollt und guckte sich alles an, was dort nach dem Angriff passierte. Die Spurensicherung findet im Zimmer von Andy F. nasse Bettwäsche und ein tropfnasses T-Shirt, das er sich vom Körper gerissen hatte. Je ein Wasserkocher aus den Zimmern der Männer werden beschlagnahmt.
Zeugen berichten vonAndy F. wird als Zeuge gehört – in Abwesenheit von Helmut K., da eine Ärztin sonst eine Retraumatisierung befürchtet. F. spricht verwaschen, ist schwer zu verstehen. Er sagt: „Ich habe mit K. Krach gehabt. Ich habe mich gestritten, ich weiß nicht mehr warum.“ Und weiter: „Er hat mir mit Mord gedroht. Das war aber schon länger her.“
Von starken Konflikten berichten auch andere Zeugen. Aber auch davon, dass Helmut K. angekündigt habe, etwas zu tun, was ihn in eine forensische Klinik seiner Wahl bringe. Er habe sich in seiner offenen Wohngruppe nicht wohl gefühlt. Einem Kriminalbeamten hatte er laut dessen Aussage noch gesagt, er habe F. töten wollen. „Aber ich hatte keine Waffe.“ Also wurde der Wasserkocher zur beinahe tödlichen Waffe. Das Verfahren wird fortgesetzt.