Wobei Sperrle den Wert dieser besonderen Fundstücke nicht an finanziellen Maßstäben misst. Zu den bedeutendsten Archivalien zählt der Historiker einen Pergament-Brief des Lübecker Fürstbischofs Johann von Schleswig-Holstein-Gottorf aus dem Jahr 1648. In dem Dokument verleiht „Bischof Hans“ der Stadt Eutin das Recht der Gerichtsbarkeit. „Das ist die Gründungsurkunde des Amtsgerichts“, sagt Sperrle.
Eine Anekdote am Rand: Als Gegenleistung forderte Johann, der das Eutiner Schloss zum ständigen Wohnsitz ausbauen ließ, dass die Stadt die Straßen auch außerhalb in Ordnung halte. Mit dem neuen Privileg schien Hans, eine bereits begonnene Praxis zu legalisieren. „Die ersten städtischen Gerichtsakten datieren auf 1646“, sagt Sperrle. Viele Niederschriften dieser Verhandlungen sind in 13 Büchern gesammelt und gebundenen worden.
Diese handschriftlichen Protokolle aus drei Jahrhunderten seien noch gänzlich unerforscht. „Das sind ungehobene Schätze, ganz heiße Quellen“, sagt Sperrle. Neben den üblichen Verbrechen lassen sich in den Akten auch Anklagen im Rahmen der Judenverfolgung finden und Berichte über Hexenprozesse vermuten. Allerdings müsse sich der jeweilige Forscher in Sprache und Handschrift der vergangenen Jahrhunderte einlesen und einlassen, betont Sperrle.
Zwei weitere Juwele für die Verwaltungs- Wirtschafts- und Sozialgeschichte seien die Eutiner Stadtbücher. In den Büchern finden sich zahlreiche Eintragungen über Immobilien- und Rentengeschäfte, Schuldscheine und Statuten. In Streitfällen dienten die Niederschriften als Mittel zur Rechtswahrung und Rechtsdurchsetzung. Die Quellen enthielten auch viele Informationen zu Vögten und Amtmännern, Bürgermeistern und Ratsherren, Bischöfen, Pröpsten und Kirchengeschworenen, aber auch einfachen Handwerkern, Kaufleuten und Bauern, sagt Sperrle.
Während der erste Band von 1469 bis 1564 teilweise ausgewertet wurde, ist der zweite Teil von 1579 bis 1707 noch absolut unerforscht. Hier vermutet Sperrle ähnliches Potenzial zur Verwaltungs- Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Stadt Eutin. „Auch der berühmte Christian Cassius, der von 1609 bis 1676 lebte, kommt darin vor“, sagt Sperrle. Der Eutiner Jurist diente drei Fürstbischöfen als Kanzleidirektor und vertrat den Eutiner Hof bei diplomatischen Missionen wie den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden 1648.
Ein unscheinbarer Schatz sei der Nachlass der Totengilde von 1668, die von der Gründung bis 1954 vollständig erhalten seien. „Konkret handelt es sich dabei um Kassenbücher, Protokolle, Jahresrechnungen, Mitgliederkonten, Belege, Schriftstücke und Rechnungen“, sagt Sperrle. Weil in dieser Gilde vom einfachen Arbeiter bis zum Bürgermeister alle Stände und Schichten vertreten gewesen seien, offenbare die Quelle einen guten Blick auf die Entwicklung der Eutiner Gesellschaft.
Einen speziellen Blick auf das Julien-Hospital ermöglichen die Rechungsbelege der Stadtkasse, die in einem Kassenbuch um 1900 zusammengefasst sind. In den Abrechnungen findet man die Namen, den Stand, den Wohnort sowie die Verpflegungsmodalitäten der Patienten. So wird beispielsweise vermerkt, ob zu den Mahlzeiten „Wein und andere Stärkungsmittel“ serviert würden. „Das Ganze erinnert ein bisschen an Kasse oder Privat“, sagt Sperrle.
Zu den bunteren Archivalien zählen Baupläne und Skizzen, Plakat- und Fotosammlungen. Dazu gehört die Original-Blaupause von der historischen Freibadeanstalt, die 1913 am Eutiner See gebaut wurde. Ebenfalls im Fundus ist eine Kladde des Eutiner Malers Leonhardt Boldt, der 1930 die Gestaltung des Rosengartens, der Stadtbucht und des Seeparks initiierte. In dem Heft finden sich Zeichnungen, wie sich der Künstler den Umbau vorstellte, sowie Lichtbilder, mit denen er den Bestand und die Arbeiten dokumentierte. Gerade private Fotosammlungen beinhalteten oft besondere Schätze, um die Stadtentwicklung sichtbar nachvollziehen zu können, sagt Sperrle.