So weit wollte es der Vorsitzende an diesem Abend offenbar nicht kommen lassen. „Ich möchte mich entschuldigen, dass ich beim letzten Mal am Anfang wegen eines Applauses gleich einen Ordnungsruf erteilt habe“, ging er in die Offensive und appellierte an die Einwohner: „Heute sollten wir uns alle ausreden lassen und wertschätzend miteinander umgehen!“ Die Kunst der Diplomatie verfehlte ihre Wirkung nicht: Die Bauausschusssitzung verlief weniger lautstark, obwohl sie überraschende Wendungen bereithielt und eine grundsätzliche Entscheidung über das umstrittene neue Wohngebiet gefällt werden musste.
Das Neubaugebiet soll auf dem zehn Hektar großen Feld zwischen Kammerweg und Kattenhöhlener Weg in Scharbeutz entstehen. Rund 350 Wohneinheiten sind geplant. Vorgesehen sind Einfamilienhäuser, Doppelhäuser, Reihenhäuser und Mehrfamilienhäuser für günstigeres Wohnen, außerdem ein Kindergarten, eine Seniorenresidenz und eventuell ein Parkhaus. Der Bauausschuss sollte den Vorentwurf für das Baugebiet billigen – oder eben ablehnen.
Für die erste Überraschung des Abends sorgte Henning Nitz von der FBB-Fraktion mit FDP. Statt für oder gegen das Baugebiet zu stimmen, kam er mit einem gänzlich neuen Vorschlag. „Wir haben aus der letzten Sitzung mitgenommen, dass das Projekt bei der Bevölkerung umstritten ist. Wir sind aber dem Wohle der Bevölkerung verpflichtet und halten den B-Plan für zu groß.“ Seine Fraktion stelle den Antrag, erst einmal nur den oberen Teil des Gebietes bebauen zu lassen. „Wir können dann sehen, wie sich das auswirkt und den unteren Teil in fünf bis zehn Jahren angehen.“
Ein Vorschlag, der Gabriele Jungk (Bündnis 90/Die Grünen) sichtlich verärgerte. „Wir diskutieren seit fünf Jahren diesen Plan und heute kommen Sie damit, nur den oberen Teil bebauen zu lassen. Das ist doch völlig indiskutabel.“ Sie sei dafür, dem Vorentwurf zuzustimmen. „Dann können wir gemeinsam mit den Bürgern in die Planungsphase gehen und zum Beispiel bei einer Dorfschaftsversammlung alle Probleme definieren und besprechen.“
Vom Nitz-Vorschlag ebenfalls überrascht schien Kay Skubella von der WUB-Fraktion, der die Sitzung unterbrechen ließ, um sich mit seiner Fraktion zu besprechen. Die WUB war in der Bredouille, hatte man im Wahlkampf den Wählern doch Wohnungsbau versprochen. Skubella sprach das Dilemma offensiv an: „Ja, wir haben den Wohnungsbau groß auf unseren Wahlplakaten gehabt.“ Bisher hätten sie auch immer dafür gestimmt. „Bei diesem Neubaugebiet sind wir aber von einer kleineren Bebauungsfläche ausgegangen. Wir brauchen Wohnraum, aber nicht so massiv.“ Deshalb finde man den Vorschlag gut, das Projekt in zwei Etappen anzugehen.
Bürgermeisterin Bettina Schäfer (parteilos) ergriff das Wort. „Sie sollten die Wirtschaftlichkeit im Blick behalten. Bauen kostet heute viel Geld“, warnte sie. Zuvor hatte sie erneut für das Projekt geworben. „Wir haben dringenden Bedarf an Wohnraum. Ich kann die Bedenken von Anwohnern verstehen, aber mir geht es um das Allgemeinwohl“, sagte sie. Die Bürgermeisterin erinnerte in diesem Zusammenhang an das Neubaugebiet Redderkrog. „Das Baugebiet ist verträglich und das Konzept gut“, sagte Schäfer. Es sei vergleichbar mit dem Redderkrog und der habe sich wunderbar in Scharbeutz eingefügt, obwohl es damals genau die gleichen Diskussionen gegeben habe. „Aber die Entscheidung liegt bei Ihnen.“
„Ich vermisse die Meinung der SPD und CDU. Was sagen die denn dazu?“, fragte Nitz. Kopfschütteln bei Jürgen Brede (SPD): „Es war klar, dass du mir vorhin nicht zugehört hast. Ich habe schon gesagt, dass wir dafür sind.“ Ähnlich äußerte sich Nils Walbaum (CDU): „Die CDU hat von vornherein gesagt, dass wir Wohnraum schaffen wollen. Wir brauchen ein Wohngebiet und deshalb stimmen wir dafür, und zwar für das gesamte Wohngebiet.“ Die Fraktionsstärken hätten rein rechnerisch gereicht, um eine Teilung des geplanten Neubaugebietes zu erreichen. Doch bei der Abstimmung entpuppte sich die FBB-Fraktion mit FDP plötzlich als FBB-Fraktion ohne FDP. Der Ausschussvorsitzende Meyer-Olden von der FDP stimmte für das gesamte Baugebiet. Damit war der Vorentwurf gebilligt und die erste Hürde für das Baugebiet „Scharrstücken“ genommen.
Eine endgültige Entscheidung ist das Ja aus dem Bauausschuss jedoch noch nicht. Jetzt geht es in die konkrete Planung des Baugebietes – und am Ende muss die Gemeindevertretung zustimmen.