In seinem Plädoyer charakterisierte der Staatsanwalt den Angeklagten als „kleine tickende Zeitbombe“. Der junge Mann habe während des ganzen Verfahrens „keinerlei Einsicht“ gezeigt, sondern „latent aggressiv“ auf alle Tatvorwürfe und Fragen reagiert. Der Verteidiger bezeichnete seinen Mandanten als „Paradebeispiel der Reifeverzögerung“. Viel mehr mildernde Umstände könne er angesichts der Faktenlage leider nicht anführen. Was brachte die Juristen zu dieser Einschätzung?
Die Beweisaufnahme war laut Staatsanwalt „ein bunter Strauß an Delikten“. Dazu zählte beispielsweise ein Einbruchdiebstahl in das Weber-Gymnasium. Trotz eindeutiger Beweislage – drei rechtskräftig bereits verurteilte Mittäter hatten ihn belastet – leugnete Carl B. (Name geändert) jegliche Tatbeteiligung. Erst als ein Kriminalkommissar aussagte, dass man auch seinen Fingerabdruck gefunden habe, räumte er ein, „möglicherweise in der Schule gewesen“ zu sein.An dem Diebstahl von zwei Laptops, vier iPads, einem Flachbildfernseher und einer Handkasse mit 150 Euro sei er nicht beteiligt gewesen. Dieser Darstellung widersprach ein Zeuge. Dessen Antwort auf die Frage der Richterin, wer das Geld genommen habe, war eindeutig: „Carl!“ Aufgeflogen sind die Täter auch durch den Versuch, eines der iPads für 335 Euro zu verkaufen. Das gesperrte Gerät zeigte noch Daten des Schulnetzes an.
Carl B. dealte auch mit Drogen. Im September 2023 konnte ein „Stammkunde“ die 80 Euro für ein Gramm Kokain nicht bar bezahlen. Carl B. akzeptierte dessen Handy als Pfand. Ein paar Stunden später stand der Konsument erneut im Raum, um mehr Stoff zu erwerben. Carl B. bot ihm mangels Vorrats an, eine „Line gratis durchzuziehen“.
Die „gute“ Stimmung kippte, als der Malenter Nachrichten checken wollte. Carl B. fand das Mobiltelefon nicht und beschuldigte dessen Eigentümer, das Gerät heimlich an sich genommen zu haben. Dann fuchtelte er mit einer Machete herum, zwang den „Gast“, seine Taschen zu leeren, und forderte, dass dieser sich nackt ausziehe. Beim Versuch, Carl B. zu entwaffnen, griff der Malenter in die Klinge, wurde brutal zusammengeschlagen und kam mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus. Die Schnittwunde wurde mit acht Stichen genäht.
Ebenfalls im Krankenhaus endete ein Besuch von Carl B., dessen Bruder und einem Kumpel bei einem Nachbarn im Lindenbruchredder. Der 21-Jährige wurde im Halbschlaf überfallen. „Erst klirrten die Fensterscheiben, dann versuchten Sie die Tür aufzutreten“, erzählte der Zeuge. Das mit Messer, Dachlatte und Schlagstock bewaffnete Trio habe sein Handy und Geld gefordert. „Ich sollte wöchentlich oder monatlich 150 Euro abdrücken“, sagte der Mann. Warum? „Es hieß, ich hätte seine kleine Schwester in der Kiste gehabt.“ Später wurde er „krankenhausreif zusammengedroschen“.
Weil er sein Werkzeug nicht verlieh und eine Sicherung nicht sofort wechselte, schlug Carl B. einem anderen Nachbarn einen Grillrost ins Gesicht und mit einer Schaufel auf den Arm. Einmal sei der Angeklagte mit einem Messer auf ihn losgegangen, berichtete der 40-Jährige. Den Angriff habe er mit einem Tritt abwehren können – allerdings auf Kosten einer Abwehrverletzung am Schienbein. Auch diese Schnittwunde musste genäht werden.
Noch brutaler agierte Carl B. im Juli 2023 auf dem Norma-Parkplatz: Nachdem er angedeutet habe, „jemandem in die Eier zu treten“, sei ihm dieser an den Hals gegangen. „Ich habe ihn dann weggeschubst“, sagte der Angeklagte. „Wie?“, fragte die Richterin nach. „Mit der Faust ins Gesicht“, erklärte Carl B., er habe dann noch mehrfach auf den Liegenden eingetreten, auch gegen den Kopf. „Sie wissen, dass so etwas tödlich ausgehen kann?“, fragte die Richterin nach. Er habe sich nur gewehrt, nicht mal mit voller Wucht, antwortete Carl B.: „Wenn ich auf seinem Kopf rumgesprungen wäre, dann wäre er tot.“
Die Richterin bat den ebenfalls sichtlich irritierten Verteidiger, seinem Mandanten den Ernst der Lage zu erklären. Die Mahnungen verhallten wirkungslos. Carl B. blieb bei seiner Linie: Ein Nachbar, dem er heißes Öl über die Beine gegossen hatte, habe „darum gebettelt“. Eine Morddrohung auf seinem Instagram Account habe er nicht verfasst.
Nur im Fall eines gestohlenen Mountainbikes zeigte sich Carl B. geständig. „Das geklaute Fahrrad brauche ich, um in Eutin von A nach B zu kommen“, sagte er. Diese Freiheit wurde nun eingeschränkt: Das Schöffengericht verurteilte Carl B. zu einem Jahr und sechs Monaten Jugendstrafe.