„Wir wünschen uns, aus diesem Albtraum aufzuwachen”
Flynn (13) hat einen Hirntumor – Familie hofft auf Heilung – Spenden helfen, seine Wünsche zu erfüllen.

Flynns Eltern Krystian und Jana Kunde aus Ahrensbök sowie seine Tante Nina Tion sind für die Hilfsbereitschaft, die Organisation von Benefiz-Turnieren und Spendengeldern dankbar.Fotos: Beke Zill
Stockelsdorf. Noch einmal London sehen. In die Welt von Zauberlehrling Harry Potter eintauchen. Die Kulissen der Hexen-Schule Hogwarts erleben. Das ist der größte Traum von Flynn. „Er möchte da unbedingt hin. Flynn ist großer Harry-Potter-Fan. Nach seiner Bestrahlung fliegen wir nach London“, sagt seine Mutter Jana Kunde. Flynn soll glücklich sein. Denn seit dem 2. Oktober ist bei Familie Kunde aus Ahrensbök nichts mehr, wie es war. Einige Tage zuvor klagt der Junge in der Schule über starke Kopfschmerzen und Übelkeit. Das kam schon häufiger vor. Normale Pubertäts-Beschwerden, so der Kinderarzt. Diesmal war es anders. „Instinktiv wusste ich, dass etwas nicht stimmte“, sagt seine Tante Nina Tion, die ihren Neffen am 18. September sofort ins Krankenhaus brachte.

Sie muss sich sammeln, als sie von diesem Tag erzählt. Kurz schaut sie zu ihrer Schwester Jana. Zusammen mit ihrem Schwager Krystian Kunde sitzen sie am Esstisch in ihrer Wohnung und suchen Worte für das, das mit Worten gar nicht zu beschreiben ist.

Mediziner in der Lübecker Uniklinik entdecken ein Gliom. Ein Hirntumor, der in Flynns Kopf wächst. Vier Stunden wird der Schüler operiert. „Dass es so schlimm ist, hat keiner gedacht“, sagt Jana Kunde. Nach der OP darf Flynn nach Hause. Dann kommt der 2. Oktober. Drei Tage vor Flynns 13. Geburtstag müssen die Eltern vom Arzt hören, dass ihr Kind schwer krank ist. Der psychosoziale Dienst sei mit dabei gewesen, das habe nichts Gutes geheißen, erinnert sich Krystian Kunde. Er blickt auf den Boden, als seine Frau das Unfassbare ausspricht. „Dieser Hirntumor ist die aggressivste Form, die es gibt.“

Einen Alltag gibt es
nicht mehr

Flynn habe mit der Bestrahlung angefangen, sagt sie. Jeden Vormittag muss er in die Klinik zur Chemotherapie. Sechs Wochen lang. „Ihm geht es gut. Er macht das besser, als wir alle“, betont die Schulbegleiterin und lächelt ihren Mann an. Der lächelt zurück, nickt. Sie ist krankgeschrieben, um sich auf ihre Familie zu konzentrieren. Krystian Kunde arbeitet das Notwendigste im Homeoffice ab.

Einen Alltag gebe es nicht mehr. „Es ist so unreal“, sagt Flynns Mutter. „Man wünscht sich, aus diesem Albtraum aufzuwachen. Man steht jeden Tag auf und denkt: Scheiße. Ist das Wirklichkeit?“, sagt Flynns Vater. Seine Augen füllen sich mit Tränen. Seine Frau nimmt unterm Tisch seine Hand. Sie werde oft gefragt, ob sie schlafen könne. Schlaf bedeute für sie Abschalten. Von den Gedanken, von der Frage, warum. Warum sie, warum Flynn. „Wach zu sein, ist für mich der wahre Albtraum.“

Sie leben seit der Diagnose im Moment. An erster Stelle stehen jeden Tag die Bedürfnisse von Flynn. „Wir versuchen, ihm alle Wünsche zu ermöglichen und ihn glücklich zu machen. Das hält uns über Wasser“, sagt Jana Kunde. Mit seinem Vater war der 13-Jährige kürzlich im Stadion bei seinem Lieblingsverein Bayern München.

Zuhause versucht Flynns Zwillingsschwester Ida, dem Bruder den Tag zu versüßen. „Sie backt gerne für ihn“, erzählt ihre Mutter. Für Ida und auch für den kleinen Bruder Velten (10) geht die Routine weiter. Genau wie Velten muss Ida zur Schule. Dabei sieht sie den leeren Platz ihres Bruders im Klassenzimmer, ist den Fragen ihrer Mitschüler ausgesetzt. „Sie steckt viel zurück.“ Sie versteht, dass es jetzt um Flynn geht.

Um dem Jungen Stadion-Besuche, Zirkus-Vorführungen und andere schöne Dinge zu ermöglichen, helfen die vielen Spenden. Ihr Heimatverein MTV Ahrensbök, für den unter anderem Flynn Fußball spielt, hat „Kicken gegen Krebs“ auf die Beine gestellt. Weitere Benefiz-Aktionen von verschiedenen Vereinen sind geplant. Flynn glücklich zu machen, ist das Ziel: „Gemeinsame Erinnerungen schaffen“, nennt es Nina Tion.

Nina Tion hat einen Spendenaufruf über eine Internetplattforminitiiert, um Flynn seine Wünsche zu erfüllen. Etwa 56.000 Euro sind bereits eingegangen. „Die Hilfsbereitschaft ist enorm“, sagt Jana Kunde.

Der Zusammenhalt innerhalb der Familie ist groß. „Da haben wir wahnsinniges Glück. Ohne die würde es nicht gehen“, sagt sie. Alle helfen, damit sie für Flynn da sein können. „Es ist wichtig, Zeit mit ihm zu verbringen und ihm Halt zu geben“, sagt Krystian Kunde.

Einen Plan, wie es nach der Bestrahlung weitergeht, gebe es nicht. „Wir vermeiden, an die Zukunft zu denken“, sagt Jana Kunde. Erstmal im Dezember nach London, Flynns großen Wunsch erfüllen. Und was wünschen sich seine Eltern? Jana und Krystian Kunde hoffen, dass die Forschungen zu Hirntumoren in Europa schneller vorangehen. „Er soll eine Chance haben. Wir glauben daran. Wir werden die Hoffnung nicht aufgeben.“

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