Schulsozialarbeit in Ratekau:
Ein Beruf wird immer wichtiger
Bettina Höft ist seit 19 Jahren an der Cesar-Klein-Schule tätig – Gewalt und Ängste nehmen zu

Selbstverteidigungs-Trainerin Michaela Wagner (r.) zeigt Bettina Höft (Mitte) und Achtklässlerin Zoé (15), wie sie sich aus einer misslichen Lage befreien können. Larissa und Celina (hinten v.l.) und Ratekaus Gleichstellungsbeauftragte Sonja Sesko (l.) schauen zu.Fotos: Beke Zill
Ratekau. Die Turnhalle der Cesar-Klein-Schule (CKS) in Ratekau ist gut gefüllt. Auch draußen und in den Klassenräumen herrscht reges Treiben. In 32 Kursen – von Kochen bis Sport – dürfen sich die Kinder eine Woche lang ausprobieren. Mittendrin wuselt Sozialarbeiterin Bettina Höft, beantwortet Fragen, schaut nach dem Rechten, holt Zettel aus ihrem Büro, geht zur Turnhalle. Dort findet der Selbstverteidigungskurs für Mädchen statt, ein Projekt, das ihr besonders am Herzen liegt.

Seit 19 Jahren ist die 62-Jährige als Sozialarbeiterin an der CKS tätig, seit mehr als 40 Jahren im Dienst für Kinder und Jugendliche. „Es ist jeden Tag Action“, sagt sie über ihren Beruf, der in den Jahren eine immer wichtigere Rolle im Schulalltag spielt.

Im hinteren Drittel der Turnhalle lauscht derweil eine Gruppe Mädchen Selbstverteidigungs-Trainerin Michaela Wagner. Dann dürfen die Schülerinnen den Dummy mit Schlägen und Tritten traktieren. „Es ist wichtig, die Stimme zu erheben und das Schlagen auszuprobieren“, sagt Höft.

Gewaltprävention sei für sie ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit, erklärt Höft und schaut mit Ratekaus Gleichstellungsbeauftragter Sonja Sesko Larissa zu, wie die sich zur Wehr setzt. Grenzen festsetzen, auf Festhalten reagieren – das soll den Mädchen vermittelt werden.

Egal, welche Probleme die Schüler haben – Höft und ihre Kollegin Claudia Müller haben immer ein offenes Ohr. Auch Sesko, die eng mit den Sozialarbeiterinnen vernetzt ist, kümmert sich um die Sorgen von Kindern und ihren Eltern. „Ihr könnt zu uns kommen, egal, was es ist“, betont sie.

Gewalt habe Zuhause und an der Schule zugenommen, auch die Intensität der körperlichen Gewalt beschäftige immer mehr, berichten Sesko und Höft. „Wir haben viel mit Streitschlichtungen zu tun“, sagt Höft. Ein großes Problem: „Die Kinder reden nicht mehr miteinander.“ Höft nennt die Digitalisierung, die Handynutzung sowie Social Media als Gründe für die zunehmenden sozialen Schwächen.

Als sie vor 19 Jahren an der CKS anfing, seien es „normale“ Streitigkeiten wie eine Rauferei gewesen, die es zu klären galt, erzählt sie. Heute seien die Themen der Kinder viel breiter gefächert. Sozialphobien, Angstzustände, Essstörungen, Selbstverletzungen, ADHS, Autismus, ADS und Sucht sind neben Gewalt weitere Schwierigkeiten, die sie mit den Kindern im Vertrauen bespricht. „Es sind immer mehr Ängste“, sagt Höft.

Auch Eltern wenden sich oft an sie. „Es gibt mehr Eltern, die hilflos sind“, sagt sie und erzählt, wie sie auch schon einmal einen Schulverweigerer aus dem Bett geholt hat, weil die Eltern überfordert waren. Ihr Ziel: Sie entlasse kein Kind ohne Perspektive aus der Schule.

Um gegen die Probleme vorzugehen, bietet sie Medienkompetenztraining, Sucht-, Gewalt- und Sexualprävention, Gespräche, Streitschlichtungen und vieles mehr an. Dabei sind die Sozialarbeiter im ständigen Kontakt mit der Gemeinde, dem Jugendamt und auch mit Psychologen und Therapeuten.

Die Probleme der Kinder versucht sie, nicht an sich heranzulassen. Natürlich habe sie schon schlaflose Nächte gehabt, erzählt die Neustädterin. Mit ihrem Mann spricht sie viel über ihr Erlebtes. „Der Austausch ist ganz wichtig“, sagt sie.

Für Höft werde die sozialpädagogische Arbeit an Schulen immer wichtiger. Vor 20 Jahren waren Schulsozialarbeiter noch eine Ausnahme. „Wir waren vielleicht drei in ganz Schleswig-Holstein“, erinnert sie sich.

Tatsächlich gab es nach Angaben des Landesrechnungshofes im Jahr 2008 insgesamt 148 Sozialarbeiter an den Schulen im Land. 2015 dann 409 und 2022 waren es schon 617 Stellen.

Das Land unterstützt die Schulsozialarbeit mit jährlich etwa 18,3 Millionen Euro, sagt Wilko Huper, Sprecher des Bildungsministeriums. „Schulsozialarbeit wird vor dem Hintergrund wachsender Herausforderungen – zum Beispiel durch Migration oder psychische Belastungen – immer bedeutsamer. Sie stärkt das soziale Miteinander, begleitet junge Menschen individuell und unterstützt Schule als Lebens- und Lernort“, erklärt Huper.

Höft betont, dass sie keine Erziehungsmaßnahmen übernehmen könnten. „Wir sind die Lehrenden. Es ist wichtig, dem Kind gerecht zu werden. Deshalb werden Sozialarbeiter immer wichtiger und erfahren eine immer höhere Wertschätzung“, erklärt Bettina Höft. Sie fordert daher mehr Sozialarbeiter und auch eine bessere Bezahlung für ihre Arbeit.

Für die 62-Jährige brechen die letzten Jahre als Sozialarbeiterin an. Trotz steigender Herausforderungen liebt sie ihren Job. „Jeder Tag ist anders. Mit schwierigen Situationen umgehen, sofort auf alles reagieren – es macht mir sehr viel Spaß“, sagt Höft. Allen voran stehen ihre Schützlinge, in die sie auch an diesem Tag wieder all ihre Energie steckt. Gemeinsam mit Zoé (15) versucht sie sich an einer Abwehrtechnik. „Ich liebe meine Schüler, egal, wie sie sind.“ BZ
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