Ab sofort hat der kirchliche Gebäudemanager einen weiteren Vornamen: Aus dem Küster Ole Claußen wurde die Küsterin Paula Ole Claußen. So ist es auch schon auf der Homepage von St. Marien zu lesen. „Ich lebe nun als Person, die ich schon sehr, sehr lange bin, es aber immer verheimlichen musste“, sagt die 55-Jährige.
Mit dem jahrelangen Versteckspiel soll jetzt endlich Schluss sein. Schließlich war sie 47 Jahre lang gefangen – in einer Geschlechterrolle, die nicht ihre war. Als Kind, so erinnert sich Paula, spürte sie das Anderssein zum ersten Mal. „Als ich acht Jahre alt war, habe ich es bewusst gefühlt“, sagt sie. „Ich lag im Bett und wünschte mir nichts sehnlicher als einen Kleiderschrank voller Mädchenklamotten.“
Doch die Zeit, die Familie, das Umfeld – all das ließ es nicht zu. „So stark dieser Wunsch war, ein Mädchen oder später eine Frau zu sein – ich konnte es nicht leben. Es hätte nicht funktioniert“, blickt Paula zurück. Zu groß war die Angst, alles zu verlieren.
„So war ich fortan in zwei Welten zu Hause. Habe mit Jungs Räuber und Gendarm gespielt und mit Freundinnen mit Barbies. Ich war dazwischen – irgendwie nirgendwo richtig“, sagt Paula. Deshalb traf Ole schon früh die Entscheidung, das Geheimnis mit ins Grab nehmen zu wollen.
Nach Jahrzehnten war der tiefe Schmerz nicht mehr auszuhalten. „Dieses Bedürfnis, meine weibliche Identität zu leben, wurde geradezu überbordend“, berichtet sie. Doch da war auch diese lähmende Angst: Was würden die anderen sagen? Die Kirche? Die Familie? Seine Frau? Seine Tochter? „Ich hatte Angst, dass ich alles verlieren könnte.“
Anfang des Jahres setzte sich Ole schließlich in die Seelsorge-Kapelle von St. Marien. Er schrieb einen langen Brief – an Gott. Am nächsten Tag sprach er mit seiner Frau. „Sie hat ganz wundervoll reagiert. Keine Vorwürfe, keine Schuldzuweisungen“, sagt Paula.
Zwei Tage später fuhren sie gemeinsam nach Bad Segeberg – Kleidung kaufen, Schuhe in Größe 43 inklusive. Paula lacht bei der Erinnerung: „Zum Glück gab es welche.“
Ole liebte seine Frau – und Paula tut es heute. „Also ganz streng genommen bin ich lesbisch“, sagt sie und schmunzelt. Der Weg des Outings war und ist kein leichter.
Denn das in der Gesellschaft verankerte binäre Geschlechtsmodell, das nur „männlich“ und „weiblich“ kennt, benachteiligt Menschen, die sich nicht eindeutig geschlechtlich verorten können oder wollen. Dabei liegt der Anteil der trans-Menschen in Deutschland bei 0,5 Prozent, gibt die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) an.
Paula hat ihr persönliches Umfeld Schritt für Schritt eingeweiht – Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Gemeindemitglieder. „Zum einen möchte ich Menschen mitnehmen, die vielleicht genauso empfinden. Und zum anderen will ich sagen: Die Welt ist nicht zusammengebrochen. Sie dreht sich weiter“, betont sie.
Und auf die Frage, was sich verändert habe, antwortet die Marien-Küsterin mit ruhiger Stimme: „Paula? Ist wie Ole. Ein empathischer Mensch, der Klartext sprechen kann. Verlässlich, hilfsbereit, mit offenem Ohr, dem Familie über alles geht. Das bleibt.“