KI-Schockanrufe in Ostholstein nehmen zu
Sie klingen am Telefon genau wie Verwandte und bitten schnell um Geld - Wie man sich schützen kann.

Sie konnten gemeinsam den KI-Betrug am Telefon verhindern: Rentner Carl-Heinz Nehlsen und Holger Dabelstein vom Weißen Ring. Foto: Jan Scheper
Eutin. Die Polizei ruft an. Der 83-jährigen Carl-Heinz Nehlsen ist geschockt. Seine Tochter hat offenbar einen Autounfall verursacht, eine andere Frau sei tot. Dann meldet sich Petra selbst. Sie weint, bittet um Hilfe, Untersuchungshaft droht. „Nur gegen eine hohe Kaution von 50.000 Euro würde die Polizei sie nicht einsperren.“ So berichtet es Nehlsen heute.Damals war es maximaler Stress für den alten Mann aus Hansühn. So viel Geld habe er nicht, lässt er am Telefon wissen. Goldbarren? Auch die gibt’s nicht. Das Gespräch wird beendet. Verunsichert meldet sich Nehlsen bei seinem Neffen, Holger Dabelstein, Außenstellenleiter vom Weißen Ring Ostholstein. Der erreicht die echte Tochter später telefonisch. Sie meldet sich beim skeptischen Vater, spricht länger mit ihm. Dann ist klar: Der dramatische Anruf war inszeniert. Der Betrug mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) nimmt deutschlandweit zu, laut dem Weißen Ring auch im Kreis Ostholstein. Das Vorgehen der Täter ist schwer zu durchschauen, nicht nur für Rentner. Mithilfe von KI werden Gesprächsschnipsel − Audio und Video − von nahen Angehörigen, die sich etwa über Social-Media-Clips oder Anrufbeantworteransagen sammeln lassen, als Grundlage für Stimmfarbe und -klang benutzt. So entstehen „Audio-Deepfakes“.Das Gespräch führen digital ein oder mehrere Betrüger mithilfe von „Stimmklonen“ offenbar aus Callcentern im Ausland. Sie geben sich als vermeintliche Angehörige, Polizisten oder Richter aus. 20 Festnahmen gab es zuletzt Ende letzten Jahres bei einer internationalen Polizeiaktion wegen der verwendeten Enkeltrick-Methode.

„Ich könnte schwören, dass Petra mir schilderte, den Verkehrsunfall verursacht zu haben“, sagt Nehlsen auch heute noch. Er erzählt seine Schreckgeschichte in einem Sitzungssaal im Eutiner Polizeidienstgebäude. Tagelang sei er „durch den Wind gewesen“.

Der Weiße Ring Ostholstein hat sich um ihn nach den Erlebnissen Anfang Juni 2024 gekümmert. Nun stellt die Organisation den Fall in ihrer Opferbilanz des letzten Jahres vor. Dabei sind neben dem pensionierten Polizeidirektor Dabelstein auch die Ehrenamtlichen Elke Ahlering, die sich insbesondere um Präventionsarbeit kümmert, Hartmut Dahlmann, ebenfalls ein ehemaliger Polizist, sowie Carmen Horstmann und Susanne Haag. Auch wenn, wie im letzten Jahr, Gewaltdelikte meist im Fokus stehen, ist der KI-Betrug ein wachsendes Thema. Elke Ahlering berichtet von ähnlichen Erlebnissen. „Es werden gezielt alte vierstellige Festnetznummern angerufen“, sagt sie. Die Stimmen ihrer erwachsenen Kinder seien nahezu perfekt imitiert worden.

In der Folge geht es dann immer um Geld und Wertgegenstände. Die Ziele: Überweisung oder Übergabe an der Haustür. Beides würden echte Behörden nie fordern. Aber Stresssituationen knipsen bei potenziellen Opfern öfter den inneren Sicherheitsschalter aus.

Genau darauf setzen gut organisierte, kriminelle Banden. Genutzt wird KI auch für Sprachnachrichten, die über Messengerdienste an Familienmitglieder gehen.

Im Januar 2024 bekam eine Frau aus Bad Schwartau eine gefälschte Audionachricht von ihrer in Skandinavien lebenden Tochter. Eine vierstellige Summe wurde dringend erbeten. Die Mutter war geschockt − und zahlte. Erst danach fragte sie bei der Tochter nach − und ärgert sich bis heute.

Generell raten Verbraucherzentralen und der Weiße Ring in genannten oder ähnlichen Fällen, die Gespräche zu beenden − und die angeblichen Anrufer unter einer bekannten Nummer zurückzurufen. Helfen kann auch schon, persönliche Fragen zu stellen, die Betrüger nicht beantworten können. Und dann sollte man schnell die Polizei informieren. Scheper
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