„Beim Thema Kinderarmut besteht akuter Handlungsbedarf. Nicht nur die materielle Kinderarmut hat zugenommen, sondern auch die emotionale und daraus resultierende soziale Armut“, beklagt Matthias Thoms, Fachbereichsleiter beim Kinderschutzbund.
Um die Kinderarmut besser bekämpfen zu können, forderte die SPD im jüngsten Jugendhilfeausschuss des Kreises die Einrichtung „eines Arbeitskreises zur Bekämpfung von Kinder- und Familienarmut, an dem Vertreter aus Politik, Verwaltung, Kinderschutzbund, Kinder- und Jugendparlamenten sowie Familienzentren teilnehmen.“
Die Zahlen zur Kinderarmut erscheinen aber auf den ersten Blick widersprüchlich. Tatsächlich waren es im Juni 2024 in Ostholstein 3200 Kinder, die Leistungen vom Jobcenter bekamen. Das sind 500 Kinder weniger als fünf Jahre zuvor. Ein deutlicher Rückgang.
Auf der anderen Seite berichtet der Kinderschutzbund, dass immer mehr Eltern die Betreuungszeiten kürzen oder Kinder vom Mittagessen abmelden wollen, weil das Geld nicht reicht. Thoms: „Ebenfalls verzeichnen wir eine sprunghafte Nachfrage nach Unterstützung aus unserem Hilfsfonds für Familien in Notsituationen. Allein in 2023 haben wir 96 Kinder und Familien in einem Umfang von 69.130 Euro unterstützt.“
Die Auflösung des scheinbaren Widerspruches: „Wer Leistungen vom Jobcenter bezieht, ist nicht automatisch arm. Zumindest kann eine Familie, die keine Leistungen bezieht, weil sie keine Ansprüche hat und ihr Einkommen knapp über der Bedarfsgrenze liegt, ärmer sein und nur schwierig mit ihren Kindern von Woche zu Woche klarkommen“, meint Karsten Marzian, der Geschäftsführer des Jobcenters Ostholstein.
Diese Familien müssten Kitakosten bezahlen, Schulbedarf, Klassenfahrten, Vereinsmitgliedschaften – und hätten deshalb manchmal netto am Ende weniger als Familien, die Leistungen vom Jobcenter bekommen. „Weil wir dort zum Beispiel Mitgliedschaften im Sportvereinen oder GEZ-Gebühren bezahlen, Mittagessen und Klassenfahrten mitfinanzieren“, erläutert Marzian.
Dass es vor allem diese gestiegenen Kosten sind, die Familien- und Kinderarmut verstärken, bestätigt auch der Kinderschutzbund. „Mit dem Ausklingen der Coronapandemie begann der Ukrainekrieg und damit verbunden ein Anstieg der Inflation“, erklärt Thoms die Hintergründe. Damit sei das Geld in den Familien in den letzten zwei Jahren „knapper“ geworden.
Ein Beispiel seien die deutlich gestiegenen Preise für Mittagessen in Kitas. Thoms: „Für Betreuung und Mittagessen entstehen für Eltern Kosten pro Kind zwischen 150 und 300 Euro. Bei zwei oder mehr Kindern kommen Summen zusammen, die einige Eltern vor Herausforderungen stellen. Besonders betroffen sind Alleinerziehende und Teilzeitbeschäftigte.“ Die Folgen seien dramatisch. In einer Untersuchung kommt der Kinderschutzbund zu dem Schluss: „Belastungen in armen Familien sind Sorgen, Zukunftsängste und Selbstzweifel der Eltern. Diese führen in der Regel zu vermehrten Spannungen und Konflikten zwischen den Eltern. Ergebnis ist, dass diese nicht mehr die Bedürfnisse ihrer Kinder ausreichend wahrnehmen. Mit der Reizbarkeit der Eltern steigt auch die Neigung zu harten und willkürlichen Strafen gegenüber Kindern, was bei diesen wiederum vermehrte Aggressivität oder auch Ängstlichkeit zur Folge hat.“Das trage seinen Teil zu einer hohen Quote an Schulabgängern ohne Schulabschluss in Ostholstein bei. Thoms benennt weitere Folgen: „Wir stellen einen erheblichen Anstieg von Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen im Bereich des Verhaltens und der psychischen Gesundheit fest. Ebenso verzeichnen wir in unserem Kinderschutzzentrum eine starke Zunahme der Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdung.“
Doch wie kann die Situation verbessert werden? Das wollen die Experten in Ostholstein jetzt herausfinden. Der Jugendhilfeausschuss hat zwar den SPD-Antrag nicht angenommen, da es bereits einen entsprechenden Arbeitskreis im Kirchenkreis gibt. Allerdings entschied sich der Ausschuss einstimmig dafür, „Vertreter des Kirchenkreises sowie weitere Beteiligte einzuladen, um deren Perspektiven und Lösungsansätze zur Bekämpfung von Kinder- und Familienarmut zu hören. Zudem soll die Verwaltung künftig regelmäßig über die Fortschritte des kirchlichen Arbeitskreises berichten.“
Der Kinderschutzbund verweist ebenfalls auf den kirchlichen Arbeitskreis und fordert, dass dieser „seine Intensität deutlich steigern sollte und müsste. Nur so lassen sich zügig geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut entwickeln und deren Umsetzung im Kreis beschleunigen.“ Thoms verspricht: „Auch der Kinderschutzbund als ein Experte zum Thema Kinderarmut wird sein Engagement an dieser Stelle erhöhen, sofern das gewünscht ist.“