Laut einer Studie des „Bündnisses gegen Cybermobbing“ ist in Deutschland knapp ein Fünftel (18,5 Prozent) aller Schülerinnen und Schüler davon betroffen. Und die Zahlen steigen stetig: Im Jahr 2022 litten etwa 1,8 Millionen Schülerinnen und Schüler unter Cyber-Mobbing, im laufenden Jahr sind es knapp zwei Millionen. Besonders verbreitet ist die Online-Version des Mobbings demnach in der Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen.
„Das Gefühl zu haben, dem Mobbing überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit schutzlos ausgeliefert zu sein, muss für die Kinder und Jugendlichen schier unerträglich sein“, sagt Sophia Schiebe, Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes Schleswig-Holstein. Sie richtet einen dringenden Appell an alle Betroffenen: „Bitte holt euch Hilfe und bleibt nicht allein damit.“ Oft würden sich Opfer von Cybermobbing so sehr schämen, dass sie sich ihren Eltern nicht anvertrauen.
Sophie Schiebe empfiehlt in diesen Fällen die „Nummer gegen Kummer“. Kinder und Jugendliche finden montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter der Rufnummer 116 111 Unterstützung am Kinder- und Jugendtelefon oder rund um die Uhr bei der Online-Beratung unterwww.nummergegenkummer.de. Besorgte Mütter und Väter können sich an das Elterntelefon wenden. Dieses ist montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr sowie dienstags und donnerstags von 9 bis 19 Uhr unter der Nummer 0800/ 111 0 550 zu erreichen.Weitere Anlaufstellen für Mobbing-Opfer sind die Erste-Hilfe-App bei Cybermobbing der Initiative Klicksafe, der Krisenchat, die Onlineberatung Juuuport und die Organisation Hate Aid. Um Mobbing und Cybermobbing zu bekämpfen, sind nach Ansicht des Entwicklungspsychologen und Mobbingforschers Herbert Scheithauer drei Dinge wichtig: Intervention, der Dialog in Familien und Mobbingprävention an Schulen.„Nach unseren Erfahrungen nehmen die Fälle von Cybermobbing rasant zu“, sagt Birgit Stamer von der Opferschutzorganisation Weißer Ring Lübeck. Die Opfer erlebten eine „sehr belastende und häufig auch krankmachende Zeit“. Da sich die Betroffenen meist nicht allein aus der Situation befreien könnten, sei es entscheidend, sich Hilfe zu holen. Der Weiße Ring rät Cybermobbing-Opfern außerdem, die Nummern und Kontakte zu löschen beziehungsweise zu sperren, die sich beleidigend geäußert haben. In vielen Fällen sei eine Anzeige bei der Polizei sinnvoll. Dafür ist es wichtig, beleidigende Inhalte wie Texte, Fotos und Filme zu speichern, um sie als Beweis vorlegen zu können.
Wenn das Mobbing überhandnehme, sollte sich der Betroffene eine neue Handynummer, eine neue E-Mail-Adresse und ein neues Profil in den sozialen Medien zulegen. Der Weiße Ring Lübeck zeichnet regelmäßig Projekte gegen Mobbing an Schulen aus. Der letzte Wettbewerb fand 2023 statt, für das kommende Jahr ist eine Neuauflage angedacht, sagt Birgit Stamer.
Nach Angaben des Kieler Bildungsministeriums werden Mobbing-Fälle in Schleswig-Holstein nicht gesondert statistisch erfasst. In die Datenbank zum Gewaltmonitoring „Gemon“ finden Mobbing-Vorfälle nur dann Eingang, wenn sie mit Ausschluss von Schul- oder Unterrichtsveranstaltungen, Überweisung in eine Parallelklasse oder Überweisung in eine andere Schule geahndet wurden. Einzeln ausgewiesen werden Mobbing-Fälle in der Datenbank nicht.
Generell ist die Zahl der Gewaltdelikte an Schulen in den vergangenen Jahren stark gestiegen. „Gemon“ weist für das Schuljahr 2022/2023 insgesamt 611 Fälle von Gewalt aus, im Schuljahr 2019/2020 waren es 497. Deutlich weniger Vorfälle gab es in den Schuljahren 2020/2021 (206) und 2021/2022 (197). Diese sind allerdings wegen der Corona-Pandemie auch nur bedingt aussagekräftig. Im Kampf gegen Cybermobbing setzt das Land nach Angaben des Bildungsministeriums auf vielfältige Präventionsangebote. Das Zentrum für Prävention (ZfP) beispielsweise unterstützt Schulen bei der Entwicklung spezifischer Konzepte, um Mobbingprozesse frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter können sich dort zu Anti-Mobbing-Beratern ausbilden lassen. Außerdem gibt es regionale Fachtage zu Mobbingprävention und -intervention, beispielsweise am 25. November in Bad Segeberg.
Der Lübecker Polizist Denis Zwick und sein Kollege André Hellberg sind regelmäßig in Schulen zu Gast, um über Cybermobbing aufzuklären. „Jede Form von Mobbing ist Gewalt“, betont Zwick. Nach seiner Erfahrung steigt die Zahl der Fälle stetig. Bisher wird Cybermobbing erst ab Klasse 5 thematisiert. Zwick würde sich eine Ausweitung auf die dritten und vierten Klassen wünschen. „Doch dafür fehlen uns die Kapazitäten.“ Der Präventions-Beamte ist bereits bis zu den nächsten Sommerferien ausgebucht.