„Die meisten Kinder erkranken nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 – wenn überhaupt – zum Glück nur leicht an Covid-19“, sagt die Medizinerin. Und ungefähr nur ein Prozent hätten länger als acht Wochen irgendwelche Beschwerden. „Aber aus dieser Gruppe werden noch einmal wenige Prozent schwerstkrank. Und genau für die sind wir da. Schließlich sind sie bisher nicht gut versorgt“, stellt Brinkmann fest.
Der Erstkontakt zum UKSH kommt stets über die behandelnden Kinder- oder Hausärzte zustande. Ergebnis: Bis zu drei Fälle sieht sie in ihrer Spezial-Sprechstunde pro Woche. Wie zum Beispiel Frauke S. (Name geändert), die mit ihren Eltern in der Mitte Schleswig-Holsteins wohnt.
„Die 14-Jährige hatte sich mit dem Corona-Virus angesteckt, und zuerst sah alles nach einem normalen Verlauf aus“, sagt die UKSH-Ärztin. Die Jugendliche habe drei Tage lang klassische Symptome eines grippalen Infektes gezeigt – „mit Kopfweh, Müdigkeit, leichtem Fieber, und dann ging es ihr schon wieder besser.“
Frauke spielt begeistert Handball und wollte entsprechend nach zwei Wochen wieder zum Training gehen. „Doch schnell musste sie feststellen, dass es mit der körperlichen Anstrengung noch nicht klappte“, erzählt die Professorin von dem aktuellen Fall. In den nächsten Tagen konnte sie auch nicht mehr gut schlafen, und in der Schule schaffte es die 14-Jährige nicht mehr, über eine längere Zeit konzentriert den Unterricht zu verfolgen.
„Dann hat das Umfeld ja schnell die Erklärung parat, dass dies an dem fehlenden Schlaf liegt“, merkt Brinkmann an. Und wie ging es weiter? „Letztendlich war Belastung immer weniger möglich. Selbst der morgendliche Weg mit dem Rad zur Schule forderte ihr alles ab, und sie kam schnell aus der Puste“, sagt Brinkmann.
Was die Eltern dann aber aufschrecken ließ, war die Phase, nachdem es Frauke noch mal richtig wissen wollte. Schließlich falle es aktiven Jugendlichen oftmals schwer, einen Gang herunterzuschalten, merkt die Kinderärztin an. Die Symptomatik, die folgte, fasst sie mit dem Begriff PEM-Syndrom zusammen. Was die Abkürzung für „Post-exertionelle Malaise“ ist.
„Weil ein Ligaspiel bevorstand, forderte der Trainer, dass sich alle noch mal voll reinhängen sollten. Das Ergebnis – am Tag danach war sie völlig erschöpft, hatte Kopfschmerzen, Herzrasen und konnte nicht aufstehen“, schildert Brinkmann die Folgen. Man spreche hier von einer verzögerten Symptomverschlechterung, die sehr ausgeprägt ausfallen kann. Um diese Beschwerden zu verbessern, komme als Therapie der Wahl das sogenannte Pacing ins Spiel.
Das heißt: Zur „Einsparung“ von Energie sollen Betroffene stets einen Wechsel von Aktivität und Ruhe schaffen. „Und man erhöht über die Zeit die Belastung nur in ganz winzigen Schritten. Das kann sich über viele Monate hinziehen. Und es setzt voraus, dass man mit seinem Körper ganz viel Geduld hat. Doch welcher Jugendliche gesteht sich schon selbst gerne ein, dass er sich nach der Schule zum Mittagsschlaf zurückziehen muss“, erklärt die UKSH-Ärztin.
Seit Ende 2022 ist Folke Brinkmann inzwischen auf dem Campus Lübeck tätig. Ihre über Deutschland hinaus anerkannte Corona-Expertise hatte sich die Fachärztin für Lungenheilkunde und Infektionsmedizin zuvor an der Universitäts-Kinderklinik St. Josef in Bochum aufgebaut. Das führte dazu, dass sie Ende 2021 in den Corona-Experten-Beirat des Robert-Koch-Instituts (RKI) berufen wurde.
„Wir haben schon recht früh nach Ausbruch der Pandemie 2020 gemerkt, dass es da einen Teil Kinder und Jugendliche gibt, die nicht gesund werden. Entsprechend war unser Anspruch, da gibt es Bedarf, und die müssen wir versorgen. Wie genau, wussten wir allerdings damals nicht“, erinnert sich Brinkmann.
Bei den meisten Ratsuchenden ist das „Pacing“ jedenfalls erfolgreich. Nicht so bei Frauke S. – sie schaffte es fünf Monate später dann noch nicht mal mehr in die Schule. Aufstehen fiel ihr auch immer schwerer. In einer spezialisierten Rehabilitationsklinik mit einer umfassenden Behandlung konnte ihr letztendlich geholfen werden.
Inzwischen besucht sie stundenweise wieder die Schule und kehrt langsam ins Leben zurück. Aber dieses Beispiel zeige auch, dass der Weg zur Genesung langwierig sei und entsprechend eine spezielle Anlaufstelle für Betroffene eine enorme Bedeutung habe.
„Bei Erwachsenen mit Long Covid gibt es mittlerweile schon Medikamentengruppen, die durchaus eine gewisse Hoffnung aufkommen lassen“, so die Medizinerin. Psychologische Betreuung der Familie sei in so einem Fall jedenfalls immer ganz wichtig, wie auch die ständige Kommunikation vor allem mit der Schule.
Vor Kurzem bekam das UKSH eine zweckgebundene Finanzspritze vom Land in Höhe von einer Million Euro. „Mit dem Geld haben wir tatsächlich jetzt die Möglichkeit, die Ambulanz besser auszustatten. Um besser untersuchen zu können und das Personal mit einer Psychologin sowie einer Studienärztin aufzustocken. Auch eine feste Videosprechstunde konnten wir einrichten“, sagt Brinkmann. Ihr dringlichster Wunsch ist es nun, für betroffene Kinder, die zu Hause sind, einen landesweiten Betreuungsdienst aufbauen zu können.