Gewalt schon im Kindergarten: Erzieherinnen verzweifeln
Einrichtungen in Stockelsdorf wollen Präventionskurse für Vorschulkinder – Sponsorenlauf am 11. Oktober

Ausrasten, schreien, schlagen: Das ist auch in Ostholstein immer häufiger schon bei Kita-Kindern der Fall.symbolFoto: T. Trutschel/imago
Stockelsdorf. Klaas schreit, spuckt und schlägt um sich. Dass der Fünfjährige in seiner Kita ausrastet, ist keine Seltenheit. In vielen Kindergärten und Grundschulen in Ostholstein sind Erzieherinnen und Lehrerinnen verzweifelt und wissen nicht, wie sie mit diesen Kindern umgehen sollen. Sozialtrainer Tomas Angermann besucht seit 22 Jahren Einrichtungen im Kreis und gibt Kurse in Gewaltprävention. Seine Beobachtung ist, „dass Gewalt in Kindergärten in den vergangenen drei, vier Jahren stetig zugenommen und eine ganz andere Qualität bekommen hat“. Angermann berichtet, wie ihn kürzlich ein Junge in einer Kita begrüßt hat: „Na, du alter Wichser. Dazu hat er mir gegen das Schienbein getreten.“ Auch die Drohung „trau dich ja nicht, meine Mutter zu f.....“ habe ihm schon ein Knirps entgegengeschleudert. „Und in der Grundschule dreht sich die Eskalationsspirale weiter“, sagt Tomas Angermann.

Der 62-Jährige macht seine Arbeit „immer noch gerne“. Er sagt: „Die Kinder sind toll. Sie können nichts für ihr Verhalten. Ihr Elternhaus hat sie so geprägt, dass kein Respekt, kein Anstand und keine Ordnung vorhanden sind. In vielen Familien findet einfach keine Erziehung statt. Viele Eltern kümmern sich fast gar nicht um ihre Kinder.“ Sie seien mit sich selbst beschäftigt, hätten Probleme in der Partnerschaft, finanzielle Sorgen oder seien krank.

„Mein Training ist so aufgebaut, dass die Eltern mitmachen müssen“, berichtet Angermann. Das von ihm entwickelte Programm „Prokids“ umfasst Lernförderung und Sozialkompetenz. Der Sozialberater kommt für einen Kursus (acht oder zehn Einheiten) einmal pro Woche in eine Kita oder Grundschulklasse und bespricht mit den Kindern Themen wie „Mein Körper gehört mir“ oder „Angst kann mich beschützen“.

Zu Hause sollen die Mädchen und Jungen ihren Eltern davon erzählen und diese anhand ihrer Erzählungen ein Bild davon malen. „Ich versuche, die Eltern für die Themen ihrer Kinder zu interessieren. Das klappt super“, bilanziert Angermann. „Einige tun sich schwer, aber sie machen mit. Manche sagen mir später: ‚Ich wusste gar nicht, dass das meinem Kind wichtig ist.‘“ Nur selten komme es vor, dass sich Eltern weigerten, mitzumachen, erzählt er.

Der Experte kann nach eigener Aussage den meisten Kindern zu mehr Sozialkompetenz verhelfen. „Meine Erfolgsquote liegt bei 80 Prozent“, sagt er. Allerdings räumt er auch ein: „Einige Kinder sind in ihrem Verhalten asozial. Sie erreiche ich in so kurzer Zeit nicht. Solche Kinder müssten das ganze Jahr über betreut werden.“

Lübeck, aber primär Ostholstein, ist Angermanns Tätigkeitsbereich. Etliche Kitas und Schulen fragen ihn für Gewaltpräventionskurse an. „Die Träger fordern das alle. Aber es ist oft kein Geld dafür vorhanden“, sagt er.

Das unterstreicht eine geplante Aktion in Stockelsdorf: Dort soll es am 11. Oktober einen Sponsorenlauf im Herrengarten mit allen ansässigen Grundschulen und Kindertagesstätten (rund 1300 Kinder) geben, um Geld für Gewaltpräventionskurse einzuwerben, damit möglichst viele Kinder profitieren.

Treibende Kraft hinter der Idee ist Angelika Bötel, Leiterin der Kita „Haus der Gartenzwerge“. „Wir versuchen schon seit mehr als 15 Jahren, einmal jährlich für unsere Vorschulkinder einen Gewaltpräventionskursus zu installieren“, sagt sie. Allerdings hätten ihre Kolleginnen und sie festgestellt, dass der Zeitraum nicht mehr ausreiche, um Defizite der Kinder aufzuarbeiten.

Bötel berichtet, dass in einem Stockelsdorfer Arbeitskreis, dem Kita-Leitungen, Grundschul-Leitungen und Schulsozialarbeiterinnen angehören, kaum noch andere Themen besprochen würden als die stetig größer werdende Zahl der verhaltensoriginellen Kinder. Die Verzweiflung sei bei allen groß.

Die Toleranzgrenze sei bei vielen Kindern gering, sie seien überfordert und reizüberflutet, berichtet eine Schulleiterin. Bei Konflikten haue der eine dem anderen dann zum Beispiel die Brille von der Nase oder schlage ihm mit der Faust ins Gesicht. Schon Erst- und Zweitklässler habe sie rigoros nach Hause schicken müssen.

Aggressionen der Kinder äußerten sich auch im Herumschreien, „oder einer sitzt unter dem Tisch und macht nichts mehr“. Eine Erzieherin sagt: „Kinder erwarten, dass ihre Bedürfnisse sofort erfüllt werden. Willst du nicht, dann bäm.“ Eine andere Schulleiterin beklagt: „Wir müssen die Kinder erst in den Zustand bringen, dass sie zuhören können.“ Von „Ungelenktheit in sozialen Kontakten“ spricht eine Schulsozialarbeiterin.

Die Idee zum Sponsorenlauf entstand im Arbeitskreis, „weil wir überlegt haben, wo kriegen wir Gelder her, damit nicht die Eltern immer belastet werden“, sagt Angelika Bötel.

Teilnahmekarten für den Lauf gibt es in jeder Kita und Grundschule in Stockelsdorf.

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