Die Kritik und Aufforderung gilt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und seinem Apotheken-Reformgesetz. „Er möchte den Bestand der Apotheken vor Ort sichern, in dem er Light-Apotheken zulässt, in denen nur noch acht Stunden pro Woche ein Apotheker vor Ort ist. In der übrigen Zeit kann ein pharmazeutisch-technischer Assistent (PTA) die Filiale leiten und soll bei Fragen den Apotheker in der Hauptapotheke per Videoschalte kontaktieren. Doch das funktioniert so nicht“, sagt Tiana Evertz, Chefin der zwei Lübbers-Apotheken.
„Es gibt Dinge, die kann nur ein Apotheker machen. Wenn jemand nach einem Krankenhausaufenthalt ein starkes Schmerzmittel verschrieben bekommt, das dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt, darf eine PTA das nicht herausgeben. Gleiches gilt für die Anfertigung von Salben und Cremes, die nach Rezeptur selber hergestellt werden müssen. Da müsste eine PTA die Patienten vertrösten“, sagt Evertz. Und auch die Beratung durch einen Apotheker per Video könne nicht immer sichergestellt sein. Evertz: „Der Apotheker in der Hauptapotheke kann ja auch selber im Kundengespräch sein.“
Zudem wollten die Assistenten die Verantwortung gar nicht übernehmen. „Die bekommen ohnehin zu wenig Geld“, sagt Evertz. Sie könne den Mitarbeitern aber auch nicht mehr zahlen. Denn die Kosten für Mieten und Personal seien gestiegen, aber die Vergütung für die Apotheken sei das letzte Mal vor 20 Jahren nennenswert angepasst worden. „Die Rechnung geht nicht mehr auf.“
Das alles hat die Apothekerin auch den Politikern mitgegeben, die sich auf ihr Video gemeldet haben. Lokalpolitiker von der SPD waren vor Ort und die FDP hat sogar ihre Gesundheitsexpertin im Bundestag, Christine Aschenberg-Dugnus, vorbeigeschickt.
Beistand bekommt die Stockelsdorfer Apothekerin von zahlreichen Kollegen. Dörte Rehmert hat zwei Apotheken in Ostholstein. Die Wagrien-Apotheken in Lensahn und in Oldenburg. Bis vor zwei Wochen hatte sie auch noch die Nord-Apotheke in Oldenburg. Doch die musste sie wegen Personalmangels schließen. Hätten ihr die Reformpläne geholfen? „Nein“, sagt sie entschieden. „Der pharmazeutisch-technische Assistent ist doch genauso ein Mangelberuf wie der Apotheker.“
Im Klartext: Auch hier hätte sie niemanden gefunden. „Außerdem: Wer steht denn dann für etwas ein. Eine PTA hat die Ausbildung dafür gar nicht, die müsste eine ganz andere Ausbildung und einen anderen Kompetenzbereich kriegen. Und der Bundesverband der PTA‘s hat schon gesagt, dass sie da nicht mitgehen. Das wird nichts.“
Ähnlich sieht es Florian Schlüter, der Filialleiter der Wagrien-Apotheke in Oldenburg. „Eine PTA mit Erfahrung und vielleicht einer Zusatzausbildung kann einiges. Aber wir haben ja nochmal einen ganz anderen Blickwinkel zum Beispiel auf Wechselwirkungen von Medikamenten.“ Der Apotheker hat selber vor seinem Studium die Ausbildung zum PTA gemacht. „Das, was wir da in zweieinhalb Jahren an Chemie gemacht haben, das haben wir in einer Woche im Studium durch gehabt. Das kann man auch nicht mit einer Fortbildung wettmachen.“
Er befürchtet zudem, dass die Notdienste dann ja nur noch von den Hauptapotheken gemacht werden können. „Ich bin manchmal am Sonntag die einzige Not-Apotheke, die von Fehmarn bis Pansdorf zuständig ist. Fast ganz Ostholstein.“ Mit der Reform würden die Entfernungen noch weiter anwachsen. Für ihn gibt es nur eine Lösung. „Man muss die Berufe wieder attraktiver machen, damit sich Ausbildung und Studium wieder lohnen.“ Dafür müssten die Vergütungen für die Apotheken erhöht werden.
Doch es gibt unter Apothekern auch andere Meinungen. Hans-Georg Hannappel ist der frühere Betreiber der Großenbroder Apotheke. Auch er hatte niemanden gefunden, der seine gut laufende Apotheke übernehmen wollte. Dabei hätte er sie sogar verschenkt. Seit drei Jahren gibt es keine Apotheke mehr in Großenbrode. Hannappel hilft manchmal noch ehrenamtlich in befreundeten Apotheken aus, wenn dort Not am Mann ist.
„In Zeiten der modernen Kommunikationsmöglichkeiten ist die Reform ein gangbarer Weg, um der Personalknappheit etwas entgegenzusetzen und auch um die Preise der Apotheker, die Vertretungen machen, wieder auf ein normales Maß zu bringen“, sagt Hannappel. Er nennt ein Beispiel: Gerade übernehme er spontan die Vertretung für eine Apothekerin, die im Urlaub feststecke. Theoretisch hätte die ihre Apotheke zu machen müssen. „Es gibt aber PTA, die sind seit 30 Jahren im Beruf und können 99 Prozent der Probleme auch so lösen. Von daher ist die Grundidee gar nicht so blöd.“