Hanno S. jedenfalls war dann wegen einer Grippe Anfang des Jahres bei seinem Hausarzt, und dieser fragte generell nach seinem Befinden. Peu à peu vertraute er sich an, schilderte seine Spielleidenschaft und die sich daraus resultierende Vereinsamung. „Der ärztliche Kollege überwies ihn schließlich zu uns“, sagt Reutermann. Denn bereits seit vielen Jahren gilt die Forschung zu sogenannten Verhaltenssüchten am ZIP als international anerkannt. Und darauf aufbauend wurde vor Kurzem ein neues Behandlungsprogramm für Verhaltenssüchte gestartet.
„Von einer Internetnutzungsstörung, die auch häufig als Internet- oder Smartphone-Sucht bezeichnet wird, sind mittlerweile etwa fünf Prozent der Bevölkerung betroffen“, erklärt Prof. Hans Jürgen Rumpf, leitender Psychologe der Suchtforschung am ZIP. Von der Weltgesundheitsorganisation gilt hierbei die Computerspielstörung als anerkannt, aber auch andere Bereiche werden von Klinikern und Forschern als bedeutsam angesehen. „Dazu gehört die Nutzung von sozialen Netzwerken, Online-Glücksspiel und -Shopping sowie der Konsum von Online-Pornografie“, zählt Rumpf auf.
Weltweit steigt die Zahl von betroffenen Menschen an. Entsprechend wächst auch die Notwendigkeit guter Therapieangebote. „Wir stellen diese Diagnose, wenn man aufgrund der Online-Aktivitäten deutlich im Alltag beeinträchtigt ist, beispielsweise Freundschaften verliert, in der Schule nicht mehr hinterherkommt, häufig zu spät zur Arbeit kommt oder auch psychische Beschwerden entwickelt wie Depressionen oder Ängste“, erläutert der Experte. Zu den typischen Merkmalen der Sucht gehören weiterhin der Verlust der Kontrolle, die Bevorzugung der Online-Aktivität gegenüber anderen Interessen oder Verpflichtungen und das Fortsetzen der Aktivitäten trotz negativer Folgen.
Häufig werde die Symptomatik in der klinischen Behandlung erst deutlich im Rahmen einer anderen Erkrankung. Der Konsum habe jedenfalls stets eine große Funktionalität – „er hat etwas Entlastendes, Regulierendes, es sind aber auch Belohnungseffekte mit dabei“, so Reutermann. Die beiden Fachleute betonen einmütig, dass eine Therapie eigentlich erst begonnen werden könne, wenn bei Patientin oder Patient eine Veränderungsmotivation wachgerufen werden könne und so ein Störungsverständnis herstellbar sei. „Das ist ein wichtiger Teil des Behandlungskonzeptes. Dieses beginnt mit regelmäßigen Einzelgesprächen, die nach gewisser Zeit in eine einmal wöchentlich stattfindende Gruppentherapie überführt werden“, sagt die Oberärztin. Es gebe derzeit zwar eine Warteliste für das neue Angebot, doch sei diese noch kurz.
Natürlich hat das Duo auch Tipps für eine gesündere Internetnutzung parat: „Fördern oder finden Sie Aktivitäten, die offline stattfinden. Schaffen Sie Zeiten und Plätze ohne digitale Medien. Legen Sie die Smartphones der Familie zu bestimmten Zeiten an einem gemeinsamen Ort ab. Deaktivieren Sie Signale und Push-Nachrichten. Nutzen Sie analoge Hilfsmittel, wie Wecker oder Armbanduhren. Halten Sie das Smartphone unterwegs nicht direkt griffbereit. Erfassen Sie Ihre Nutzungszeiten und begrenzen Sie diese möglicherweise. Rufen Sie an, anstatt Nachrichten zu schreiben. Informieren Sie Freundinnen und Freunde oder die Familie über Ihr Vorhaben, sodass nicht immer sofortige Reaktionen auf Mitteilungen erwartet werden. Und verzichten Sie vor dem Schlafengehen auf das Smartphone.“Wer Interesse an dem neuen Angebot des ZIP hat, kann sich unter der E-Mailadresse JanikaTuulia.Konttinen@uksh.de melden.