„Keiner hat mit uns gesprochen. Es wird einfach etwas gefordert. Das ist kein fairer Umgang miteinander“, sagt Keller und sieht die Interessen seiner Gemeinde verletzt. „Das Problem des Güterverkehrs wird auf unser Gebiet verlagert.“ Er kritisiert den „unerwarteten Vorstoß“ des Nachbarn „kurz vor Beginn des Planfeststellungsverfahrens“. Zumal die Strecke – bekannt als X-Trasse – seit zehn Jahren nicht mehr zur Diskussion stehe. „2014 hat das Raumordnungsverfahren die Alternative untersucht und ausgeschlossen“, betont Keller. Doch die Entscheidung beruhe auf falschen und widersprüchlichen Annahmen, heißt es aus dem Schwartauer Rathaus. So werde unter anderem behauptet, dass Bewohner an der Trasse in Dänischburg stärker von Lärm und Erschütterungen betroffen seien als jene in Bad Schwartau. Von der Stadt heißt es: Das Gegenteil sei der Fall. Es gehe um mehr Gebäude – und die würden zugleich dichter am Schienenweg stehen als im Lübecker Ortsteil.
Apropos Immissionen: Ratekaus Bürgermeister sieht durch das Ansinnen der Schwartauer den Bundestagsbeschluss von 2020 in Gefahr. 232 Millionen Euro wurden Ostholstein zugesagt, um Lärmschutz oberhalb der gesetzlichen Mindestanforderungen vorzuhalten. „Dafür haben wir jahrelang gemeinsam gekämpft. Mit einer Abkehr vom vorgesehenen Trassenverlauf setzen wir unsere Erfolge aufs Spiel“, sagt Keller und ergänzt: Das gelte nicht nur für Ratekau, sondern auch für Bad Schwartau.
Was der Ratekauer Bürgermeister damit meint: Wird die Umfahrung gebaut, würden Ratekau und Schwartau voraussichtlich keinen Lärmschutz an der alten Trasse bekommen, die erhalten bliebe. Das bejaht auch ein Bahnsprecher. Gleichzeitig, so Keller, könne niemand garantieren, dass keine Güterzüge durch die beiden Orte fahren würden. Der Grund ist eine gesetzliche Vorgabe. Die Bahn muss einen diskriminierungsfreien Zugang zum Schienennetz garantieren. „Jedes Unternehmen bucht die Strecke, die es befahren möchte. Darauf haben wir keinen Einfluss“, sagt der Bahnsprecher und fügt hinzu: Bevorzugt werde fast immer der kürzere Weg. Denn: „Jede Minute ist entscheidend für die Betriebsabläufe.“
Rund 3,2 Kilometer wäre die Umfahrung länger. Für Keller ist klar: „Dann wird durch die Orte gefahren – und das ohne Lärmschutz.“ Der Verwaltungschef spricht von einer „gefährlichen Forderung mit gravierenden Folgen“, die jahrelang kein Thema gewesen sei. „Wie aus heiterem Himmel wird die X-Trasse ins Spiel gebracht“, sagt er. Ostholsteins größte Stadt will die Prüfung der Alternative, weil sich die Voraussetzungen geändert haben.
Von der Bahn hieß es jahrelang, dass lediglich rund 20 Wohnhäuser an der Trasse nicht ausreichend vor Erschütterungen geschützt werden könnten. Doch die Zahl der ungelösten Schutzfälle ist um ein Zehnfaches höher. Es sind – bestätigt von der Bahn – mittlerweile 210 Wohnhäuser. Es geht also um Hunderte von Menschen, die nachts über die Maßen vom Güterverkehr belastet wären.Hinzu kommt, dass zwischen 22 und 6 Uhr deutlich mehr Güterverkehr fahren soll, als ursprünglich vorgesehen. Ursprünglich hieß es, dass pro Tag 23 von 70 Güterzügen nachts fahren würden. Bei einer Info-Veranstaltung teilte die Bahn im Mai jedoch mit, dass mehr als die Hälfte der Fahrten nachts abgewickelt würden.Keller zeigt Verständnis, kritisiert aber das Vorgehen. „Wir haben dafür Gremien. Runde Tische und Projektbeirat sind Teil des Dialogforums für eine feste Fehmarnbeltquerung. Hier gehören die Probleme hin. Damit wir miteinander und nicht gegeneinander arbeiten.“
Und wie geht es jetzt weiter? Die Bahn reagiert – und hat eine Prüfung der Umfahrung zugesagt. Das sei sogar Routine im Rahmen der Genehmigungsplanung, teilt der Bahnsprecher mit. Gleichzeitig ist man beim Eisenbahnverkehrsunternehmen davon überzeugt, dass die Umfahrung noch weitere Probleme mit sich bringe. So würden neue Betroffenheiten entstehen für die Lübecker Ortsteile Dänischburg und Siems sowie die Teerhofinsel. Auch der Eingriff in die Umwelt sei stärker. „Wir müssten ein Vielfaches mehr an Wald roden“, betont der Bahnsprecher.
Ein Streitpunkt sind auch die Kosten. Die Umfahrung (216 Millionen Euro) sei deutlich günstiger als die Ortsdurchfahrt (482 Millionen Euro). So rechnet die Stadtverwaltung. Der Bahnsprecher kritisiert das: „Ohne fundierte Planung, inklusive Gutachten, kann niemand eine seriöse Kostenschätzung abgeben.“