Die DB baut eine neue 88 Kilometer lange Schienenstrecke von Lübeck bis Fehmarn. Sie wird für den im Bau befindlichen Fehmarnbelttunnel benötigt. In Bad Schwartau soll die bestehende Trasse genutzt werden. Das Verkehrsunternehmen befindet sich noch in der Vorplanung. Anfang 2025 sollen die Unterlagen für den Schwartau-Abschnitt zur Prüfung beim Eisenbahnbundesamt eingereicht werden. Ab Ende 2026 will die Bahn bauen lassen.
Was den Buluts blüht, wissen sie nur von der Stadtverwaltung. Der Familienvater hatte das Haus 2018 gekauft, in Eigenregie saniert und Schallschutzfenster eingebaut wegen des A-1-Lärms und in weiser Voraussicht, was die neue Eisenbahntrasse betrifft. „Das Haus liegt direkt am Wald. Unser dreijähriger Sohn ist hellauf begeistert“, erzählt er.
Aus den Unterlagen der Bahn wird auch deutlich: Sercan Bulut müsste einen Teil seines Grundstücks für den Lärmschutz abtreten. Zudem verursacht der Schienenverkehr so viel Lärm, dass einfache Wände nicht ausreichen, um die Grenzwerte einzuhalten. Große Teile der Trasse durch die Stadt bekommen deshalb eine rundum geschlossene Stahlbetonhülle. Die Züge fahren dann durch eine Art Tunnel an der Oberfläche. „Das ist ein Ungetüm. Wenn ich dann aus dem Fenster gucke, sehe ich nichts mehr“, erzählt Michael Weber. Der 66-Jährige ist Buluts Nachbar.
Die beiden Nachbarn wären – wie viele andere Schwartauer, die an der Schienentrasse wohnen – dennoch nicht ausreichend geschützt. Die Lärmschutzwände sind wirkungslos gegen die vom Schienenverkehr verursachten Erschütterungen, die Schwingungen der Decken- und Häuserwände zur Folge haben. Das führt wiederum zu sekundärem Luftschall. Bernhard Schmidt aus dem Bauamt zeigt Michael Weber, dass sein Haus nachts über den Grenzwerten liegt. Das gilt als gesundheitsschädlich – und Weber ist nicht allein mit dem Problem. Das belegt ein Gutachten der Technischen Universität Dresden, das die Stadt eingeholt hat.
„Es betrifft an die 100 Gebäude im Stadtgebiet. Vor Gericht ist das Einhalten der Grenzwerte einklagbar“, betont Bauamtsmitarbeiter Schmidt. Weil der Bundestag 2020 Vollschutz an der Trasse beschlossen hat, können Betroffene mit einer Entschädigung von 50.000 Euro rechnen. Weber ist verärgert. „Was bringt mir das? Ich kann gar keine baulichen Verbesserungen herbeiführen. Das ist für mich Schweigegeld.“
Bernhard Schmidt weiß: „Die Tieferlegung der Gleise in einen Sieben-Meter-Trog würde die Belastung deutlich reduzieren.“ Eine solche Tieferlegung ist seit Jahren die politisch beschlossene Forderung der Stadt. Schmidt moniert, dass die Bahn bis heute keine stichhaltige Argumentation vorgelegt habe, warum die Variante ausgeschlossen werde. Entscheidend sei, sagt der Bauingenieur, „ob das, was die Bahn uns anbietet, die beste Lösung für Bad Schwartau ist. Und das bezweifle ich.“
Es sind auch die kleinen Erlebnisse am Rande, die das Misstrauen gegenüber der Deutschen Bahn schüren. Unlängst wollte das Verkehrsunternehmen bei Bulut, Weber und in weiteren Häusern die Erschütterungen messen lassen. „Wir haben sofort Ja gesagt – wenn wir die Ergebnisse bekommen. Das hat die Bahn aber abgelehnt“, berichtet Weber und erzählt vom Schutzniveau seines Nachbarn.
Anders als bei ihm hat Buluts Grundstück keinen Bebauungsplan, das es als Wohngebiet ausweist. Der Staatskonzern deklariert es als Mischgebiet mit Gewerbe, wodurch höhere Grenzwerte für Lärm erlaubt sind. Die Stadt habe um eine Begründung gebeten, aber keine Antwort erhalten, erzählt Schmidt. „Es geht der Bahn um Wirtschaftlichkeit und nicht die Gesundheit der Anwohner. Denen ist egal, was mit den Menschen vor Ort passiert“, sagt Bulut.
Da passt eine weitere Belastung gut ins Bild. Die Bewohner zwischen Eisenbahn und Autobahn verlieren ihren Zugang zur Innenstadt. Der Bahnübergang fällt weg. „Die Bahn will für elf Häuser eine neue Straße bauen durch den innerstädtischen Erholungswald mit Anschluss an die Nikolausstraße“, erklärt Schmidt. „Für uns bedeutet das einen großen Umweg“, sagt Weber. Für Fußgänger und Radfahrer entsteht die Unterführung, für die Sercan Bulut sein Grundstück opfern müsste.
Bulut blickt nachdenklich auf die Bahngleise. Noch ist es ruhig vor seiner Tür. Acht Regionalzüge kommen hier derzeit pro Stunde vorbei. Aber: „Die fahren langsam“, sagt Michael Weber. Die Ruhe vor dem Sturm. Wenn der Belttunnel 2029 fertig ist, wird es voll auf den Gleisen. Neben Fern- und Nahverkehr werden täglich mehr als 70 Güterzüge, zum Teil mit Längen von über 800 Metern, auf der Strecke unterwegs ein. Ob Familie Bulut dann noch in der Elisabethstraße wohnen wird, steht in den Sternen.